Geschichte des Gens
Hämoglobin, das als roter Blutfarbstoff bekannt ist und für die Verteilung von Sauerstoff in den Geweben des Körpers sorgt. Für jede der vier Ketten, die das Hämoglobin formen, gibt es ein Stück DNA, das die Information für die dazugehörige Primärstruktur enthält, wodurch die alte »Ein-Gen-ein-Protein-Hypothese« mehr oder weniger widerlegt wird. Beim Hämoglobin gibt es ja nicht ein, sondern offenbar vier Gene für ein Protein, und da damit nur das erste Beispiel von vielen, die noch entdeckt werden sollten, bezeichnet ist, verändert sich die biochemische Festlegung vom Gen notwendigerweise erneut, diesmal zu der »Ein-Gen-ein-Polypeptid-Hy-pothese.«
Unabhängig von Details dieser Formulierungen behauptete Cricks Dogma, dass es eine Molekülsorte gibt, die zwischen dem Gen und dem Protein vermittelt. Sie galt es zu finden. Der Nachweis der heute in den Lehrbüchern als Boten-RNA oder mRNA bezeichneten Molekülsorte stellte sich deshalb als äußerst schwierig heraus, weil dieser Zwischenträger der genetischen Information nur vorübergehend existiert und instabil ist.
Das Wort »Bote« (messenger) war um 1960 aufgekommen, als auch die chemische Natur der Molekülsorte feststand, nämlich RNA. Die Molekularbiologen - unter ihnen der aus Südafrika stammende Sydney Brenner und die Franzosen Francois Jacob und Jacques Monod -arbeiteten damals mit mutierten Bakterien, die unentwegt ein Protein herstellten, das der Wildtyp nur bei Bedarf anfertigte. In der Sprache der Wissenschaft sagt man, der Wildtyp ist induzierbar, während die Mutante konstitutiv ist. Bei ihren Vorarbeiten hatten die genannten Genetiker entdeckt, dass auch Bakterien sexuell aktiv sein können, was heißt: Sie sind in der Lage, genetisches Material (DNA) auszutauschen, also von einer Zelle in eine andere zu befördern. Es gab Spender- und Empfängerzellen (Donor und Rezipient), so wie es Männchen und Weibchen gibt, und damit ließ sich folgende Beobachtung machen: Wenn man dafür sorgte, dass ein induzierbares Weibchen das konstitutive Gen erhielt, begann dort ohne die kleinste Verzögerung (und ohne sonstige Zugabe) die Synthese des Proteins. Die Idee lag nahe - und hat sich auch als richtig erwiesendass mit dem Gen auch der Zwischenträger der genetischen Information in das »Weibchen« geschleust wird. In solch einem Fall muss er auch biochemisch fassbar sein, was am Ende der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts nach einigen dramatischen Versuchen gelang und sich in den Jahren danach als allgemeine Kenntnis durchsetzte. Damit konnten sich die ersten Biologen an die Arbeit des Lehrbuchschreibens machen, und in den sechziger Jahren kamen die ersten von ihnen auf den Markt - etwa die Klassische und molekulare Genetik von Carsten Bresch, die 1964 erschien, oder The Molecular Biology of the Gene von James Watson, die 1965 auf den Markt kam. Beide legen in etwa gleicher Weise fest, was ein Gen ist, nämlich der aus DNA bestehende Abschnitt auf einem Chromosom, der zur Ausü-bung einer Funktion erforderlich ist (die selbst merkwürdig offen bleibt). Seit der Zeit gibt es so etwas wie ein Paradigma der Genetik, das erst zu einer »Molekularbiologie des Gens« und dann zu einer »Molekularbiologie der Zelle« führte. Es ist natürlich keine Frage, dass die Zunft der Biologen allen Grund hat, stolz auf das Erreichte zu sein. Trotzdem scheint es, dass sich heute nach und nach berechtigte Zweifel am Standardmodell des genetischen Denkens bemerkbar machen, die zum Ersten mit Einsichten in die Stabilität der Gene und zum Zweiten mit immer mehr Funktionen zu tun haben, die der bisher eher stiefmütterlich behandelten RNA zugewiesen werden können.
Die genetische Regulation
Bisher konnte man den Eindruck gewinnen, dass Gene genau die eine Aufgabe haben, die Information für ein Protein zu liefern genauer: für die Polypeptidketten, die ein Protein ausmachen. Genau dies dachten die Genetiker bis zum Ende der fünfziger Jahre. Doch nach und nach tauchten Beobachtungen auf, die ein erweitertes Verständnis verlangten; eine davon haben wir schon kennengelernt. Sie stammt von Mitgliedern der so genannten »französischen Schule« der Molekularbiologie, zu der neben den beiden schon erwähnten Franzosen Monod und Jacob auch André Lwoff (und noch einige andere) gehörte. Die drei hatten etwas beobachtet, was sie als »Diauxy-Phänomen« bezeichneten. Hinter dem merkwürdig klingenden Wort, das auf zwei Sorten Nahrung hinweist, verbirgt sich die
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