Geschichte des Kapitalismus
Die meisten Kaufleute im GroÃ- und Fernhandel gehörten zu den Gebildeten ihrer Zeit, denn sie konnten lesen, schreiben und rechnen. Ihre überregionale Orientierung, die aus dem Fernhandel folgte, gab vielen von ihnen eine gewisse Weitläufigkeit. Die in sich unsichere, aber gestaltbare Natur ihrer Geschäfte sorgte dafür,dass unternehmungslustige, ehrgeizige, erfolgshungrige, wagemutige Personen besonders stark angezogen wurden und in dem Bereich überproportional vertreten waren. Es fällt auch auf, dass sich diese Kaufleute â schon aufgrund begrenzter Nachfrage und in der Regel nur kleiner Umsätze â nicht spezialisierten. Sie handelten mit vielem und erledigten manches zugleich, sie nahmen wahr, was sich anbot oder aufdrängte, sie suchten nach Chancen und gingen wenig zimperlich mit den Gefahren um, die in jener Welt wenig entwickelter Staatlichkeit zur Normalität gehörten, sobald man den relativ behüteten Raum der ummauerten Stadt und gewohnten Gemeinschaft verlieÃ. Scheitern war häufig. Auch groÃe und lange erfolgreiche Unternehmen machten bankrott. Es fehlt nicht an Berichten über Abstiege groÃer Familien aus Wohlstand und Macht. Diese Kaufleute und Bankiers waren weit davon entfernt, sich in spezialisierter und überschaubarer Routine behäbig einzurichten. Im Kampf um kommerziellen Erfolg hatten sie wach und vorsichtig, wohl auch misstrauisch und bisweilen skrupellos zu sein. Sie kannten den Stolz auf individuell Erreichtes. Sie nahmen Eigeninteressen mit Härte wahr. Dazu gehörte übrigens auch eine gewisse Neigung zur Geheimniskrämerei. Als Matadore einer frühbürgerlichen Ãffentlichkeit agierten sie nicht. Sie strebten nach Geld, aber nicht um es zu horten, sondern um es arbeiten und sich vermehren zu lassen. All das entsprach kapitalistischen Prinzipien.
Aber im Unterschied zum späteren, voll entwickelten Kapitalismus blieb das fixe Kapital im Handel naturgemäà begrenzt, und fand die Kapitalakkumulation weder schnell noch unbegrenzt statt. Das lag trotz zum Teil sehr hoher Profitraten u.a. daran, dass nur ein Teil der Gewinne zur Erweiterung der Unternehmung verwendet wurde, die ja ohnehin meist nur auf einige Jahre geplant war und von der man nicht annehmen konnte, dass sie den Tod des Kaufherrn überdauern würde. Oft ging ein groÃer Teil der Gewinne in den Konsum, auch und gerade in den Luxuskonsum wie auch in den Erwerb von Liegenschaften. Grund und Boden stellten damals eine dauerhafte, auf die nächste Generation der Familie vererbbare Grundlage dar,im Unterschied zum temporären Charakter des Handelskapitals, das die Zeiten nicht überdauerte. Ãberhaupt entsprach es den damaligen Vorstellungen vom guten bürgerlichen Leben, mit wachsendem Erfolg und fortschreitendem Alter die aufregende Handelstätigkeit durch die geruhsamere Existenz eines Rentenbeziehers zu ersetzen und dazu einen komfortablen Landsitz zu erwerben, wenn nicht gar, so im Fall einiger besonders erfolgreicher GroÃkaufleute, der allgemein hoch geschätzte Adelstitel und der Besitz einer Herrschaft oder Burg hinzukamen. Mit anderen Worten: Kapitalakkumulation und Unternehmenswachstum waren unter den gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen des Mittelalters noch lange nicht zu den dominanten Zielen geworden, wie sie es später wurden. Vielmehr blieben Gewinn und Geschäftserfolg noch Mittel zum Zweck guten Lebens.
Man muss sich klar machen, dass sich auch diese gemäÃigte Variante kapitalistischer Praxis nur in Absetzung von verwurzelten Moralvorstellungen durchsetzen konnte. Die Lehre der christlichen Kirche verbot nicht nur das Geldverleihen, das Kreditgeben für Zinsen als «Wucher», jedenfalls an «Stammesbrüder», wie es in Deuteronomium (23, 19â20) hieÃ. Die zinstragende Kreditvergabe von Christen an Christen war insofern verboten, was weitestgehend erklärt, warum Juden in solchen Geschäften so stark vertreten waren. Die christliche Lehre, die ursprünglich im ländlich-handwerklichen Milieu entstanden war und Solidarität in Form von Brüderlichkeit hochschätzte, gab zweifellos weit verbreiteten antikapitalistischen Einstellungen Ausdruck. Gewinn als Lebensziel lehnte sie ab, Misstrauen gegenüber der Existenzform des Kaufmanns lag ihr nahe. Mit der Zeit schwächten sich diese Einstellungen zwar ab, oder sie wurden so interpretiert, dass sie mit der sich
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