Geschichte des Kapitalismus
Geld-, Wechsel- und Girogeschäften. Sie verwandten ihr Kapital, die bei ihnen deponierten Einlagen und ihre Erträge auch für Beteiligungen und Kredite an Handels- und Gewerbeunternehmen. Sie betriebensolche auch selbst. AuÃerdem vergaben sie Anleihen an Stadtregierungen, Landes- und Grundherrschaften wie bald auch an die höchsten geistlichen und weltlichen Machthaber, die sich angesichts noch fehlender regelmäÃiger Steuereinnahmen in ständiger Geldnot befanden und es schwierig fanden, ihre Kriege zu führen, ihre Repräsentationsbedürfnisse zu erfüllen und den Ausbau ihrer Territorien zu fördern. Staatsbildung und die Anfänge des Finanzkapitalismus hingen eng zusammen. Auf diese Weise begründete eine kleine Elite wohlhabender, der Hochfinanz zuzurechnender städtischer Bürger ihren Einfluss auf die Politik, doch machten sie ihre unternehmerische Existenz zugleich von den politischen Mächten und ihren wechselnden Geschicken abhängig.[ 29 ]
Bis zum Ende des Mittelalters war Kapitalismus weitgehend auf Teile des Handels und der Finanzen beschränkt. Doch früh drängte das Kaufmannskapital
punktuell
über die Sphäre der Distribution hinaus. Dies geschah einerseits im Montangewerbe mit seinem groÃen Kapitalbedarf und seinen auf Lohnarbeit basierenden, teilweise sehr umfangreichen Betrieben, andererseits in der Hausindustrie. Hier und da begannen Kaufleute, auf die Produktion von Waren, die sie zu vertreiben gedachten, Einfluss zu nehmen, indem sie den Produzenten Rohstoffe vorstreckten, Aufträge vorgaben und manchmal auch Werkzeuge zur Verfügung stellten. Entsprechende Beispiele finden sich vor allem in der Geschichte des Wollgewerbes Norditaliens (hier wiederum vor allem in Florenz) und der Niederlande (Flandern, Brabant) spätestens seit dem 13. Jahrhundert. In der Konsequenz veränderte sich die Arbeitsteilung zwischen den Produzenten, deren Abhängigkeit vom Markt und seinen Schwankungen nahm erfahrbar zu, und ihr Status näherte sich dem des Lohnarbeiters, da sie zwar formal selbständig blieben, aber tatsächlich Stücklohn erhielten, manchmal in Form von Vorschüssen, die sie abzuarbeiten hatten. Dabei wurde der Kaufmann zum Verleger und der Handwerker zum Heimarbeiter oder Hausindustriellen. Auch Werkstattarbeit und Zeitlohn kamen vor. Dabei nahmen die Spannungen zwischen Kapital und unmittelbaren Produzenten, zwischen GroÃkaufleuten und Handwerkern, zwischen Unternehmernund Arbeitern (auch Arbeiterinnen) kräftig zu. Sie speisten manchen der Tumulte und Aufstände, die in gewerblich verdichteten Gebieten des 14. Jahrhunderts häufig waren (und auch andere Gründe hatten), beispielsweise den «Tumulto dei ciompi» in Florenz 1378, der mit Waffengewalt ausgetragen und mit Hilfe der städtischen Obrigkeit niedergeschlagen wurde. Nicht immer führten die Anfänge der Hausindustrie, die sich auch in anderen Sparten fanden, beispielsweise im Nürnberger Metallgewerbe, in der Konstanzer Leinenindustrie und im süditalienischen Schiffbau, zu offenen Konflikten. Doch zeigte sich frühzeitig, dass die soziale Brisanz des Kapitalismus zunahm, sobald er sich aus der Zirkulations- in die Produktionssphäre ausdehnte und die Arbeit direkt umzugestalten begann.[ 30 ]
So weit er sich denn durchsetzte, wurde der Kapitalismus im europäischen Mittelalter von Kaufleuten getragen. Zu ihnen gehörten sehr unterschiedliche Existenzen: vom wohlhabenden, angesehenen und lang eingesessenen Patrizier mit ausgedehnter Familie und Teilhabe am Stadtregiment bis hin zum jüdischen oder lombardischen Geldwechsler, der als Wucherer verschrien war und in groÃer Unsicherheit am Rande der Gesellschaft lebte; vom fest eingewurzelten Angehörigen einer einflussreichen städtischen Gilde bis zum Gelegenheitskaufmann oder frisch aufgestiegenen Neureichen; vom reichen Kaufmanns-Bankier, der mit den Inhabern der höchsten Macht freundschaftlich verkehrte bis zum angestrengt reisenden Agenten, der die Lieferanten und Produzenten im proletarisierten Milieu regelmäÃig aufsuchte und als Informationsbote diente. Aber Gewinnorientierung, Erfahrung im Umgang mit Geld und die Fähigkeit zur Konkurrenz auf Märkten war ihnen gemeinsam, auch wenn sie die Vorteile von Monopolen zu schätzen wussten und nach Privilegien strebten, d.h. nach Begünstigung durch die politische Macht und nach Schutz vor dem Markt.
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