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Geschichte des Kapitalismus

Geschichte des Kapitalismus

Titel: Geschichte des Kapitalismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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inneren Staatsbildung. Sie versuchten, über die Banken einen Teil jener privaten und korporativen Vermögen für ihre Zwecke abzuschöpfen, die als Depositen oder Anleihen für die Banken erschließbar waren. Sie nutzten überdies große Handelshäuser zur Einziehung der Zölle und Steuern. Immer wieder standen sie bei den Kapitalisten hoch in der Schuld, und bisweilen nutzten sie ihre politischeMacht, um sich einen Schuldenerlass zu erzwingen. Ihren Gläubigern boten sie neben hohen Zinsen Privilegien wie Monopole oder Schürfrechte, öffentliche Anerkennung und – im Falle des kriegerischen Erfolgs – Teilhabe an der Beute. Über die Zeichnung von staatlich und kommunal begebenen oder besicherten Rentenpapieren und Anleihen verbanden Angehörige der mittleren und höheren Schichten, aber auch korporative und genossenschaftliche Institutionen wie Kirchengemeinden und Stiftungen ihre ökonomische Existenz mit dem jeweiligen Gemeinwesen und seiner Regierung.
    In der Konsequenz dieser Konstellation hingen die sehr großen Gewinne, aber auch die nicht seltenen Zusammenbrüche kapitalstarker Unternehmen nicht nur von Erfolgen und Misserfolgen auf den Märkten ab, sondern auch von dem Schicksal und der Willkür politischer Mächte. Die Konstellation stellte sich aber in den verschiedenen Ländern unterschiedlich dar. Als entscheidend erwies sich, wie die öffentlichen Schulden langfristig geregelt wurden. In der niederländischen Republik wie in der nach 1688/89 errichteten konstitutionellen Monarchie Englands gelang schon am Ende des 17. Jahrhunderts eine Konsolidierung der öffentlichen Schulden, für die nun die (niederländischen) Provinz- und Generalstaaten bzw. das (Londoner) Parlament und damit auch die Vertreter der finanziell potenten Bevölkerungsschichten gerade standen.
    Vor diesem Hintergrund wuchsen die Kreditwürdigkeit und die Wirtschaftskraft der Niederlande und Englands beträchtlich, übrigens auch die Macht und der Spielraum der dortigen Regierungen, um Steuern zu erhöhen und gleichzeitig eine hohe öffentliche Verschuldung zu akzeptablen Zinsen aufrecht zu erhalten. Den Niederlanden gelang es, auch nach dem Abflauen ihrer handelskapitalistischen Dynamik im 18. Jahrhundert, weiterhin bankwirtschaftlich und finanzkapitalistisch eine zentrale Rolle für Europa und die Welt zu spielen. Zur erfolgreichen Erneuerung der öffentlichen Finanzen in England gehörte die Errichtung der Bank of England 1694, die zwar privatwirtschaftlich organisiert war, aber rasch zu einer Art Zentralbank wurde, die Rolle des «lender of last resort» übernahm und die Geldpolitikdes Landes entscheidend mitbestimmte: ein wichtiger Beitrag sowohl zur Staatsbildung wie auch eine ideale Bedingung für die Weiterentwicklung des Kapitalismus.[ 42 ]
3. Plantagenwirtschaft und Sklaverei
    Â«Anscheinend wurden fast alle Bestandteile des finanziellen Apparats, die wir mit dem Kapitalismus verbinden – Zentralbanken, Anleihenmärkte, Leerverkäufe, Brokerfirmen, Spekulationsblasen, Verbriefung, Renten –, nicht nur vor der Entstehung der ökonomischen Wissenschaft entwickelt (was nicht unbedingt überraschen muss), sondern auch vor der Entstehung der Fabriken und der Lohnarbeit.»[ 43 ] In der Tat, um 1750 war der Kapitalismus mit seinen globalen Verflechtungen als Handels- und Finanzkapitalismus in Westeuropa etabliert, ohne dass eine kapitalistische Umgestaltung der Produktionssphäre schon stattgefunden hätte. Die kam durchgreifend erst mit der Industrialisierung, die in England in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts (siehe unten Kap. IV) begann. Jedoch spurlos war die Ausbreitung des frühneuzeitlichen Kapitalismus an der Produktionssphäre nicht vorbeigegangen, ganz im Gegenteil. Im Folgenden werden die wichtigsten Arenen skizziert, in denen der Kapitalismus auch schon vor der Industrialisierung die Arbeitswelt umgestaltete: Plantagenarbeit, Landwirtschaft und protoindustrielles Gewerbe.
    Wer gewohnt ist, Kapitalismus mit «doppelt freier Lohnarbeit» zu assoziieren – die Arbeit frei von nicht-ökonomischem Zwang und frei vom Besitz an Produktionsmitteln, auf vertraglicher Grundlage rekrutiert und im Rahmen eines Tauschverhältnisses Arbeitskraft gegen Lohn bezahlt – muss sich erst an den irritierenden Gedanken gewöhnen, dass die Durchsetzung des frühneuzeitlichen

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