Geschichte des Kapitalismus
verbunden waren zahllose Konflikte, Proteste und Repressionen. Grund und Boden wurden nicht nur vererbt, geraubt und neu zugeteilt, vielmehr auch marktmäÃig gehandelt, wenn auch unter einschränkenden Regeln, die regional stark variierten. Ãber die Jahrhunderte gelangen Fortschritte in den landwirtschaftlichen Bearbeitungsmethoden. Die Produktivität in der Landwirtschaft wuchs langsam, allerdings unterbrochen durch lange währendeRückentwicklungsphasen und mit groÃen regionalen Unterschieden. Die landwirtschaftlich-ländliche Welt war niemals heil und niemals im Zustand der Ruhe.
Allerdings war die Landwirtschaft, in der die groÃe Mehrheit der Menschen ihre Arbeit leistete und ihren Lebensunterhalt erwarb, herkömmlicherweise kein Territorium des Kapitalismus. Selbstversorgung war weit verbreitet, das heiÃt, die Haushalte, Höfe und Güter stellten den gröÃten Teil dessen her, was die Menschen verbrauchten, die deshalb als Konsumenten nur ergänzend und sehr marginal in Märkte einbezogen waren. Im ländlich-landwirtschaftlichen Bereich war die Orientierung am Hergebrachten sehr, das Denken in Kategorien der Neuerung und des Wachstums kaum ausgeprägt. Die fast überall vorherrschende Sozialform des Dorfes stärkte, bei aller Ungleichheit, Gemeinschaftlichkeit statt Individualisierung und Konkurrenz, persönlichen Austausch statt anonyme Marktbeziehungen, Tradition vor Kritik.
Vor allem aber stand im gröÃten Teil Europas der Feudalismus kapitalistischen Ansätzen im Weg. Indem er Wirtschafts- und Sozialbeziehungen aufs engste verband und Vorrechte wie Abhängigkeiten gerade nicht nur ökonomisch, sondern vor allem sozial und politisch definierte, begrenzte er den Markttausch als Regelungsmechanismus empfindlich. Er engte den wirtschaftlichen Denk- und Handlungsspielraum von Grundherren, Bauern und Angehörigen der ländlichen Unterschicht wirksam ein. Er bremste die Veränderungsdynamik, die aus neuartigen Waren und Dienstleistungen, aus der Erzielung, Investition und Akkumulation von Gewinnen wie aus der Orientierung an Wettbewerb und Wachstum folgen kann. Zwischen dem Grund- oder Gutsherren und «seinen» Bauern, Häuslern und Gesinde bestand ein mehrfach gestuftes System von Vorrechten und Abhängigkeiten. Es stattete die Herrschaft mit politischen Rechten, aber auch mit Fürsorgepflichten aus, die weit über die Rechte und Pflichten eines Arbeitgebers im kapitalistischen System hinausreichten; es verpflichtete die Untertanen, anders als die freien Bauern und anders als später die landwirtschaftlichen Lohnarbeiter, zu Abgaben und Diensten zugunstender Herrschaft (häufig in Form ausgedehnter Fronarbeit); und es begrenzte die Freiheit der Wirtschaftssubjekte, etwa durch Bindung an die Scholle. Es gab Ober- und Untereigentum, also verschränkte Eigentumsrechte von Herren und Untertanen in Bezug auf dasselbe Stück Land, daneben auch dörfliches Gemeineigentum (Allmende, Gemeindeflur) zur Nutzung aller und insbesondere der ärmeren Dorfgenossen. In der Regel existierten in ein und derselben Region grund- bzw. gutsherrschaftlich eingebundene Bauernhöfe neben Anwesen freier Bauern und neben Domänebauern, die dem Landesherren unterstanden. Das System war komplex und variierte von Region zu Region. Es konnte sich, besonders im Westen, weitgehend monetarisieren (Abgaben statt Dienste) und ein stückweit kommerzialisieren, durch Einbau von Pachtverhältnissen. Es konnte aber auch, nach Osten hin, in harte Formen der Gutsherrschaft übergehen, in denen der Gutsherr Eigenwirtschaft betrieb und dazu Fronarbeit einforderte, während die Bindung seiner Untertanen an das Land Zwangscharakter annahm und sich zur «Leibeigenschaft» verdichtete.[ 45 ]
Es ist bemerkenswert, dass sich in dieser kapitalistischen Prinzipien abgewandten Welt der alteuropäischen Landwirtschaft Elemente des Kapitalismus dennoch einnisteten, und zwar schrittweise über lange Zeiträume hin; durchweg in enger Verbindung mit dem Handel, vor allem mit Fernhandel, der den landwirtschaftlichen Produzenten Absatzchancen eröffnete, deren Wahrnehmung ihnen als Anreiz zur Umstrukturierung der Produktionsverhältnisse diente; aber meist auch unter dem Einfluss staatlicher Eingriffe, die das Eindringen des Kapitalismus in die Landwirtschaft beförderten oder vor seinen Folgen zu schützen suchten (Bauernschutz). Als erstaunlich
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