Geschichte des Kapitalismus
Montangewerbe und in Form groÃer Werkstätten oder zentralisierter Manufakturen. Die genannten Strukturmerkmale wurden auch oft nicht voll eingelöst. So kam es früh zur Einbeziehung einiger Handwerke, insbesondere des Textilbereichs, in den überregionalen Handel, ins Exportgeschäft. Die besser gestellten städtischen Handwerker rechneten zur respektablen Mittelschicht, während viele kleinere handwerkliche Existenzen zur massenhaften Stadt- und Landarmut der vorindustriellen Zeit gehörten. Zunftregeln galten, wenn überhaupt, in den Städten, kaum aber auf dem Land. Sie wurden häufig gebrochen oder durch obrigkeitliche Eingriffesuspendiert. Ihr Charakter und ihr Inhalt variierten von Land zu Land, im Westen des Kontinents verblassten sie früher als in seiner Mitte. Doch im Prinzip unterschied sich das europäische Handwerk aufgrund seiner Struktur und seiner Kultur deutlich und grundsätzlich vom Kapitalismus.[ 49 ]
Das änderte sich mit dem Eindringen des Kaufmannskapitals ins Gewerbe. Der im Zusammenhang mit technischen Neuerungen wachsende Kapitalbedarf zwang etwa die traditionell selbständigen, meist genossenschaftlich organisierten Betreiber des Erzbergbaus («Gewerken») seit dem 15. Jahrhundert dazu, sich verstärkt an Kaufleute zu wenden, die zu finanziellem Engagement gern bereit waren, dieses aber mit der Organisation des Absatzes und mit zunehmenden Eingriffen in den Bergbaubetrieb selbst verbanden. Beispielsweise wurde das unternehmerische Bergbau-Engagement in den Alpen, den Karpaten, im Erzgebirge und im Harz eine wichtige Säule der Expansion und des Reichtums oberdeutscher Handelskapitalisten, wie an der Geschichte des Hauses Fugger im 16. Jahrhundert zu studieren ist. Dabei wurden aus ehemals selbständigen Gewerken schrittweise lohnabhängige Bergleute.[ 50 ]
Das wichtigste Einfallstor des Kapitalismus in die Welt des Gewerbes befand sich aber im Bereich der «protoindustriellen» Hausindustrie und Heimarbeit.[ 51 ] Im Kern geht es dabei um die spannungsreiche Symbiose von herkömmlichen Formen handwerklicher Handarbeit meist auf dem Lande und oft im Familienverband
einerseits
mit städtischem Kaufmannskapital, seiner überlokalen Marktorientierung und kapitalistischen Dynamik
andererseits.
Im Vollzug dieser Verbindung wurden die beteiligten Kaufleute (zum Teil) zu Verlegern, d.h. zu Handelsunternehmern mit Einfluss auf die gleichwohl dezentral bleibende Produktion, während die unmittelbaren Produzenten als Handwerker, Hausindustrielle oder Heimarbeiter eine gewisse Selbständigkeit behielten, tatsächlich aber in unterschiedlichen Formen von der Kapitalseite abhängig wurden und sich in ihrem Status dem des Lohnarbeiters annäherten.
Die Protoindustrie entstand zum kleineren Teil aus dem städtischen Handwerk, wenn es für den Export zu produzierenbegann, wie die hochqualifizierten, neue Gelegenheiten wahrnehmenden Metallhandwerker Solingens oder die in Absatzschwierigkeiten steckenden Tuchmacher von Lille, beide im 17. Jahrhundert; dabei fungierten nicht nur Kaufleute, sondern bisweilen auch bisherige Handwerker als Verleger, die zünftige Bindung blieb lange erhalten. Zum gröÃeren Teil entstand die Protoindustrie jedoch in der Umgebung der Städte, auf dem Lande, wo zu Verlegern werdende Kaufleute und andere Mittelspersonen die Unterbeschäftigung und Arbeitsbereitschaft in den klein- und unterbäuerlichen Schichten, die damit verbundenen niedrigeren Lohnkosten und das Fehlen von beengenden Zunftregeln ausnutzten und durch das VorschieÃen von Rohstoffen, die Vergabe von Aufträgen und die Ãbernahme der Produkte für den überlokalen Markt eine «ländliche Industrie» hervorbrachten, die sich an die sonstigen ländlichen Wirtschafts- und Lebensweisen anschmiegte, diese ergänzte und langfristig veränderte. Protoindustrie dieser Art verbreitete sich vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, zum Teil schon früher und zum Teil noch später, in ganz Europa, vor allem in weniger fruchtbaren ländlichen Gebieten, so etwa â mit Blick auf deutsche Beispiele â im Riesen- und Erzgebirge, auf der Schwäbischen Alb, im westfälischen Bergland, im Thüringer Wald, sehr früh am Niederrhein sowie in Böhmen und Schlesien. In England entwickelten sich Zentren des Textilgewerbes, der Metallwarenproduktion, aber auch der dezentralisierten Montanindustrie in
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