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Geschichte des Kapitalismus

Geschichte des Kapitalismus

Titel: Geschichte des Kapitalismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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dauerhaft erwies sich der exportorientierte, aber feudal gebundene Agrarkapitalismus Ostmittel- und Osteuropas, der sich seit dem 16. Jahrhundert durchsetzte. Gutswirtschaften im ostelbischen Deutschland, in Polen, Böhmen und Ungarn wie auch im Baltikum produzierten Stapelgüter, vor allem Getreide, für den gewinnbringenden Export nach Westeuropa, während sie in ihrem Innern die Bindung ihrer Bauern und anderer Gutsuntertanenan die Scholle verschärften, Bauern «legten» und damit den Bereich ihrer Eigenwirtschaft vergrößerten und die Ausbeutung durch Fronarbeit verschärften. Man hat von einer «zweiten Leibeigenschaft» gesprochen. Das war ein exportorientierter Agrarkapitalismus auf der Basis unfreier Arbeit und nicht-kapitalistischer Arbeitsorganisation, der an das kapitalistisch orientierte Plantagensystem auf der Basis von Sklavenarbeit erinnert. Es übte großen sozialen und politischen Einfluss z.B. in Preußen aus und überlebte in veränderter Form auch noch, als die Bauernbefreiung des frühen 19. Jahrhunderts die rechtlichen Grundlagen der «zweiten Leibeigenschaft» beseitigt hatte.[ 46 ]
    Der großbetriebliche Agrarkapitalismus auf der Basis unfreier Arbeit entwickelte sich in Gebieten mit starker Feudaltradition, geringem Verstädterungsgrad und wenig entwickelten lokalen Marktbeziehungen. Die Gutsherren schlossen Verträge mit Fernkaufleuten, die die Ware über Königsberg, Danzig oder Stettin zu den Konsumenten in Westeuropa transportierten, während die einzelnen, in ihrer Freiheit stark beschränkten Bauern kaum direkten Marktzugang in ihrer engeren Umgebung hatten. Es fehlte überdies an einer starken Landesherrschaft, die der rücksichtslosen Interessenpolitik der kapitalistisch wirtschaftenden Feudalherren Schranken hätte setzen können.
    In ganz anderer Weise setzte sich der Kapitalismus in der Landwirtschaft der Niederlande durch. Dort waren die Feudaltraditionen schwach, der Verstädterungsgrad hoch und die Nachfrage nach landwirtschaftlichen Produkten ausgeprägt. In der Rückschau kann man einen sehr kontinuierlichen, schon im Hochmittelalter beginnenden Prozess der Entstehung des Kapitalismus aus der Verdichtung der Binnenmarktbeziehungen erkennen. Früh verdichtete Land-Stadt-Handelsbeziehungen reizten zur Spezialisierung der landwirtschaftlichen Produktion an, mit der Folge weiter wachsender Marktintegration und, wenn Überschüsse anfielen, auch einer Zunahme des Fernhandels. Man kaufte, verkaufte und verpachtete Ländereien. Ein regionaler Kapitalmarkt entwickelte sich. Bürger beteiligten sich mit erheblichem Kapital an florierenden Bauernwirtschaften, welcheinvestierten und akkumulierten, an der Verbesserung der Anbaumethoden interessiert waren und neue Produkte entwickelten, während andere meist kleinere Bauernwirtschaften mit unsicheren Besitzrechten abstiegen und aufgesogen wurden. Landwirtschaftliche Lohnarbeit entwickelte sich seit dem 13. Jahrhundert. Man sagt, dass im 16. Jahrhundert bereits ein Drittel aller in den Niederlanden geleisteten Arbeit (nicht nur in der Landwirtschaft) in der Form von freier Arbeit für Lohn und Gehalt erbracht wurde. Polarisierung und Proletarisierung fanden zweifellos statt, die Ungleichheit der Einkommen und Vermögen wuchs. Um 1550 zählten 50 % der landwirtschaftlichen Bevölkerung zur landarmen und landlosen Unterschicht. Aber die Herausbildung eines landwirtschaftlichen Großunternehmertums wurde verhindert, u.a. durch regierungsseitigen Bauernschutz. Die landwirtschaftliche Produktion der Region wuchs ungemein und mit ihr der Wohlstand der Niederlande.[ 47 ]
    Die Entwicklung in England verlief ähnlich: schwache Feudaltraditionen, frühe Marktintegration der landwirtschaftlichen Produktion, hier weniger mit hochwertigen Spezialprodukten als vielmehr über den Export von Wolle. Nach Produktivität und Wohlstand hinkte England im 16. und 17. Jahrhundert hinter den Niederlanden her, aber an einem wichtigen Punkt lief es den Niederlanden davon: Vom 15. bis zum 18. Jahrhundert zunehmend kam es in der englischen Landwirtschaft zu ausgeprägter Unternehmenskonzentration auf Kosten absteigender und oft aufgesogener Kleinbetriebe oder Zwerggrundstücke. Dabei spielte die Privatisierung von Gemeindeland in Form der sogenannten Einhegungen (enclosures) eine viel diskutierte Rolle. Die Privatisierung von Gemeindeland und

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