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Geschichte des Kapitalismus

Geschichte des Kapitalismus

Titel: Geschichte des Kapitalismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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prekär, sie wird von Arbeitskräften beiderlei Geschlechts (besonders häufig von Frauen), auch von vielen Kindern geleistet, in der auf Export setzenden Land- und Ernährungswirtschaft, in Werkstätten und Fabriken wie für die unterschiedlichstenDienstleistungen, oftmals in Slums, unter Bedingungen ausgeprägtester Unsicherheit und angesichts großer, wachsender Ungleichheit. Unternehmer, Geschäfte, Fabriken – darunter viele multinationale Konzerne mit Machtzentrum im «globalen Norden» – tragen durch gezieltes «outsourcing» zur Vermehrung dieser prekären Arbeitsverhältnisse bei, sie bedienen sich dieser Arbeitskräfte ohne sie förmlich anzustellen, oft mit der Hilfe zwischengeschalteter Kontraktoren, Sub-Unternehmer oder Agenten, wobei gesetzliche Schutzbestimmungen, soweit sie überhaupt existieren, halbherzig sind und häufig umgangen oder ignoriert werden. Die Kategorie der «informell» Arbeitenden ist schwer abzugrenzen und quantitativ kaum zu erfassen. Grobe Schätzungen sprechen von einer Milliarde weltweit, mit zunehmender Tendenz.[ 94 ]
    In Ländern wie Deutschland hat «die Arbeiterfrage» längst ihren aufwühlenden, radikale Proteste hervortreibenden, die Gesellschaft erschütternden Charakter verloren, den sie in der Klassengesellschaft des 19. und 20. Jahrhunderts besaß. Die Kritik an der Verelendung der Arbeiterklasse und an der Entfremdung der Arbeit hat bei uns längst aufgehört, im Zentrum der zeitgenössischen Kapitalismuskritik zu stehen, wo sie sich lange befand. Aber das liegt an der nationalgesellschaftlichen Fragmentierung der mentalen Landkarten, die in unseren Köpfen weiterhin dominieren. Gelänge es, eine wirklich globale Perspektive zur Basis des moralischen Gewissens, des gesellschaftlichen Engagements und der politischen Forderungen zu machen (was allerdings nicht nur gegen eingefleischte Gewohnheiten, sondern auch gegen gewichtige Interessen von uns hier im globalen Norden verstoßen könnte), wäre die «Arbeiterfrage», jetzt als Arbeiterfrage im «globalen Süden», sofort wieder da: moralisch herausfordernd, ein drängendes Problem sozialer Gerechtigkeit, schwer zu ändern, aber nicht ausweglos. Aus historisch vergleichender Perspektive drängen sich drei Bemerkungen auf:
    (1) Die Kategorisierung dieser Arbeit als «informell» oder «non-standard» beruht auf dem Kontrast mit einem Modell von stetiger, geregelter, kodifizierter Arbeit, die als «formell» oder «standard» unterstellt wird. Doch dieser angebliche «Standard»ist nicht nur in den meisten Gesellschaften des globalen Südens ein kleines Minderheitsphänomen, sondern ist auch im historischen Vergleich, der den globalen Norden einbezieht, historisch die Ausnahme und selbst im 20. Jahrhundert vielerorts nicht «normal», sondern bestenfalls die Norm gewesen. Nimmt man dies ernst, kommt man kaum daran vorbei, die Kategorien «non-standard» und «informell» in Frage zu stellen. Sie sind jedoch schwer zu ersetzen.
    (2) Die Situation im globalen Süden weist zweifellos belastende Probleme auf, die in der Phase des Aufstiegs des Industriekapitalismus in Europa und Nordamerika fehlten, vor allem die drückende Abhängigkeit eines großen Teils der vor Ort geleisteten Arbeit von multinationalen Ketten und Konzernen und die damit verbundene post-koloniale Ungleichheit zwischen Produzenten im Süden und Konsumenten (auch Weiterverarbeitern) im Norden. Trotzdem: Lohnarbeit der «informellen», schlecht bezahlten, ungeschützten, prekären Art hat es immer auch in Europa gegeben, als Massenphänomen im 18. und 19. Jahrhundert, als Phänomen an den Rändern aber auch noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Jedoch wurde sie durch geregeltere Formen der Lohnarbeit zurückgedrängt und vor allem sozial erheblich entschärft. Dafür war einerseits das wirtschaftliche Wachstum eine unersetzbare Voraussetzung. Zum anderen trug dazu die kapitalismusinterne Institutionalisierung der Lohnarbeit
in den Unternehmen
bei. Der von Arbeiterbewegungen entfaltete Druck fiel ins Gewicht. Vor allem aber spielten Gesetze, Verordnungen und staatliche Kontrollen die entscheidende Rolle.
    (3) Sieht man diesen Ozean von informeller Arbeit weltweit mit den Informalisierungstendenzen zusammen, die auch in den ökonomisch am weitesten entwickelten

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