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Geschichte des Kapitalismus

Geschichte des Kapitalismus

Titel: Geschichte des Kapitalismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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man sagen, zur Zivilisierung des Kapitalismus. Der hier nicht durchzuführende historischeVergleich macht deutlich, dass Arbeiterbewegungen dieser Art nicht notwendig aus dem Kapital-Arbeit-Spannungsverhältnis folgen, sondern eine lange Reihe kultureller und politischer Voraussetzungen haben, die in großen Teilen Europas im 19. und frühen 20. Jahrhundert in hohem Ausmaß gegeben waren, aber weder in gleicher Stärke bis heute überleben noch in anderen Weltgegenden notwendigerweise zu finden sind. Beispielsweise erleben chinesische Lohnarbeiter heute zwar Kommodifizierung, kapitalistische Instrumentalisierung, Entwurzelung und Ausbeutung in einer Weise, die durchaus vergleichbar ist mit dem, was europäische Arbeiter in der ersten Industrialisierungsphase erlitten, wenngleich in zeitlich komprimierter Form und deshalb besonders umbruchartig. Sie protestieren denn auch und lehnen sich auf, in sehr großer Zahl, geradezu täglich. Doch die durchweg lokalen Aktionen (Proteste und Petitionen am Arbeitsplatz, Streik und Boykott, Blockaden, Sit-ins) fließen in der weiterhin partiell diktatorischen Volksrepublik bisher nicht zu einer überlokalen, überregionalen Protest- und Emanzipationsbewegung zusammen.[ 92 ]
    Auf zwei neue Entwicklungen in der Geschichte der Lohnarbeit ist unbedingt hinzuweisen, deren Zukunft schwer zu prognostizieren ist. Zum einen ist, parallel zur Finanzialisierung des Kapitalismus und als Folge von Veränderungen der Technologie und der Marktorganisation, seit einigen Jahren eine Fragmentierung der Arbeit, auch der Lohnarbeit, in Raum und Zeit zu beobachten. Während 1970 die Relation zwischen vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern einerseits und der Summe der Teil- und Kurzzeitbeschäftigten, der befristet und geringfügig Beschäftigten – also der sog. atypischen Beschäftigungsverhältnisse – in der Bundesrepublik Deutschland etwa 5:1 betrug, verschob sie sich 1990 auf 4:1 und bis heute auf 2:1. Jeder Dritte arbeitet schon in Teilzeit, befristet, als Leiharbeiter oder in einem Minijob. Die Elastizität der Erwerbsarbeit und die Fluidität der Arbeitsverhältnisse nehmen zu. Die Flexibilitätszumutungen an die Einzelnen steigen. Der Arbeitsplatz verliert die klaren Abgrenzungen, die er erst im 19. Jahrhundert gewann. Die neuen Kommunikationsmittel erlauben neue Formen derHeimarbeit. Ein neues Zeitregime entsteht in den Grauzonen zwischen Arbeits- und Freizeit, mit Teilzeit und Gleitzeit, mit neuen Freiheitschancen und neuen Abhängigkeiten. Die Befunde sind differenziert zu beurteilen. Nicht jedes in diesem Sinn «atypische» Beschäftigungsverhältnis ist prekär, insbesondere nicht jede Teilzeitbeschäftigung. Zweifellos enthält die Verflüssigung der Arbeitsverhältnisse auch neue Chancen, beispielsweise zur Verknüpfung von Erwerbsarbeit mit anderen Tätigkeiten, zur Verbindung von Arbeit und Freizeit, zur Vereinbarung von Beruf und Familie. Andererseits steht zu befürchten, dass die Flexibilisierung und Fragmentierung der Arbeitsverhältnisse zu einer bedrohlichen Erosion der individuellen Identitäten und des sozialen Zusammenhalts führen, so weit diese auf kontinuierlicher Arbeit beruhen, wie es in den «Arbeitsgesellschaften» des Westens seit dem 19. Jahrhundert der Fall ist. Auf jeden Fall scheint die Bindungskraft, die sozial strukturierende, kulturell verbindende und vergesellschaftende Kraft der Arbeit in den letzten Jahren abgenommen zu haben.[ 93 ]
    Schließlich ein Blick auf Kapitalismus und Lohnarbeit in den erst seit wenigen Jahrzehnten durchgreifend industrialisierenden Regionen des «globalen Südens»: Die dort äußerst vielgestaltige Lohnarbeit wird meist unter Kategorien wie «informal» und «non-standard» untersucht und diskutiert. Gemeint sind unterschiedliche Formen von wenig geregelter, kaum kodifizierter, damit aber sehr ungeschützter und verletzbarer Arbeit in abhängigen, wechselnden Positionen, einschließlich von Wander-, Saison- und Gelegenheitsarbeiten, mit meist äußerst geringer Entlohnung, in extremer Abhängigkeit und meist in Verknüpfung mit anderen Tätigkeiten sowie anderen Einkommensarten, die im Familienkontext zusammengebracht werden, schon weil man von einer allein nicht überleben könnte. Mit größter Berechtigung gilt diese Art von kapitalistisch beeinflusster Lohnarbeit als höchst

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