Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
Regierung in Wien im März eingesetzten Statthalter («Banus») Josef Jellacic, einem habsburgtreuen Offizier, der zugleich ein glühender kroatischer Nationalist war, auf eine sprachliche und ethnische Neugliederung des österreichischen Kaiserreiches und damit auf ein Ausscheiden Kroatiens aus dem ungarischen Staatsverband. Aus Kossuths Sicht waren die nichtmagyarischen Nationalitäten Ungarns den Bretonen in Frankreich, den Walisern in Großbritannien oder den westpreußischen Kaschuben in Deutschland vergleichbar: Sie mochten besondere Bräuche pflegen und ihre Volkssprache im Alltag benutzen; politisch aber hatten sie sich der höheren Bildung der Staatsnation, im Falle Ungarns also der Magyaren, unterzuordnen.
Der Versuch der ungarischen Regierung, Jellacic seines Amtes zu entheben, mißlang, weil der kroatische Landtag die Absetzung ignorierte und in Wien der konservative Kriegsminister Latour unbeirrt am Banus festhielt. Kroatien war im Frühsommer 1848 aber nicht der einzige regionale Krisenherd Ungarns. Am 10. Mai verlangte ein slowakischer Kongreß die Wahl einer Nationalversammlung und Autonomie für die Slowakei. Am 13. Mai erklärten die Serben der Wojwodina unter dem orthodoxen Metropoliten Josef Rajacic, ihrem religiösen Führer, die Unabhängigkeit des Gebiets innerhalb der Habsburgermonarchie. Im Juni kam es dort zu bewaffneten Kämpfen, wobei auf der einen Seite Aufständische aus der Provinz, Freischärler aus dem autonomen Serbien und kaiserlich-königliche Grenzpolizei, auf der anderen Seite kaiserlich-königliches Militär und Verbände der neugebildeten ungarischen Heimatarmee, der «honvéd», standen. Vom Beispiel der Kroaten, Slowaken und Serben angeregt, konstituierte sich zwischen dem 15. und 17. Mai 1848 unter Führung des orthodoxen Metropoliten Andrei Paguna ein Nationalkomitee der ungarischen Rumänen, das Autonomie für Siebenbürgen forderte.
Den ungelösten Problemen mit den nichtmagyarischen Nationalitäten zum Trotz wurde im Juni 1848 ein ungarisches Parlament gewählt, das am 5. Juli zu seiner konstituierenden Sitzung zusammentrat. Es bestand in seiner großen Mehrheit aus Anhängern der Regierung Batthyány, wobei die hohe Zahl von adligen Abgeordneten ins Auge fiel. Unter den ersten wichtigen Entscheidungen des Hauses war die Bewilligung von Krediten für die Rekrutierung von 200.000 Soldaten. Kossuth begründete den entsprechenden Antrag mit der fast vollständigen Isolierung Ungarns. Seine Lagebeurteilung war realistisch: Die Beziehungen zum Hof in Wien hatten sich fortschreitend verschlechtert; von russischer Seite mußte mit einer Unterstützung der ungarischen Slawen, ja mit einer militärischen Intervention gerechnet werden; Großbritannien und Frankreich hielten sich aus den Verwicklungen Ostmitteleuropas heraus. In der deutschen Nationalversammlung in Frankfurt gab es zwar starke Sympathien für Ungarn, aber alles, was die Verhandlungen einer Delegation aus Pest mit der Paulskirche erbrachten, war deren (am 3. August bekanntgegebene) Erklärung, im Fall eines Krieges zwischen Österreich und Ungarn werde man nicht den Kaiser in Wien unterstützen.
Ende August reisten Ministerpräsident Batthyány und Justizminister Deák nach Wien, um in direkten Gesprächen mit der neuen Regierung Wessenberg das Verhältnis zwischen Ungarn und Österreich verbindlich zu regeln. Das Ergebnis war negativ: Am 31. August erklärte Wien die Aprilgesetze für unvereinbar mit der Pragmatischen Sanktion, der habsburgischen Erbfolgeregelung von 1713. Am 4. September wurde Jellacic offiziell wieder in sein Amt als Banus von Kroatien eingesetzt, woraufhin dieser mit einer Armee von etwa 50.000 Mann die Grenze zum eigentlichen Ungarn überschritt. Am 21. September setzte das Parlament in Pest auf Betreiben von Kossuth einen sechsköpfigen Ausschuß ein, der sich Anfang Oktober in Nationales Verteidigungskomitee umbenannte. Vier Tage später wurde der vom Kaiser und König in Wien neuernannte Oberkommandierende in Ungarn, Graf Franz Lamberg, als er die Brücke von Buda nach Pest überquerte, vom Mob ergriffen und ermordet. Am 29. September fügten ungarische Truppen den Verbänden von Jellacic bei Pákozd, in der westlichen Umgebung der Zwillingsstädte Buda und Pest, eine empfindliche Niederlage bei.
Wien antwortete mit den Dekreten vom 3. Oktober, durch die das ungarische Parlament aufgelöst und das Land der Militärherrschaft unter Jellacic als nunmehr königlichem Kommissar unterstellt
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