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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Revolutionsjahr 1848 dadurch, daß sie das slawische Rußland bewußt ausschlossen. Am weitesten verbreitet war der (besonders wirkungsvoll von Palacky vertretene) «Austroslawismus», der eine freie Föderation der slawischen Völker innerhalb der österreichischen Monarchie anstrebte und sich scharf vom freiheitsfeindlichen russischen Zarenreich abgrenzte. Den Gegensatz zu Rußland betonten auch die polnischen Befürworter einer Verbrüderung der west- und südslawischen Völker. Aber ihr Ziel war, anders als das der Tschechen, Slowaken, Slowenen und Kroaten, nicht eine von den slawischen Völkern dominierte Habsburgermonarchie, sondern die Wiederherstellung Polens in den Grenzen vor der ersten Teilung des Landes im Jahre 1772: ein Vorhaben, das eine Unterordnung der Ukrainer in sich schloß und eben darum bei deren Wortführern auf zunehmenden Widerspruch stieß.
    Russen waren auf dem Prager Slawenkongreß nicht als Delegierte zugelassen, wohl aber als «Gäste» willkommen: eine Einladung, der neben einem orthodoxen Priester auch der Revolutionär und Anarchist Michail Bakunin folgte. Die Zusammenkunft war von Anfang an von starken Meinungsverschiedenheiten, vor allem zwischen den Polen und den Vertretern der österreichischen Slawen, geprägt. Für die «Austroslawen» war der Gegensatz zu den nationalstaatlichen Bestrebungen der Magyaren und den Deutschen ein verbindendes Band; die Polen, die sich noch immer ein gemeinsames Vorgehen von Slawen, Magyaren und Deutschen gegen Rußland wünschten, standen mit dieser Position isoliert da. Infolgedessen wurde der Slawenkongreß in der deutschen wie in der magyarischen Öffentlichkeit nahezu einhellig als feindselige Kundgebung rückwärtsgewandter Kräfte wahrgenommen und kommentiert. Gleichwohl diente bei sprachlichen Verständigungsproblemen zwischen den Teilnehmern deutsch meist als die «lingua franca»; es war die Sprache der Resolutionen und Adressen, wenn auch nicht, wie oft behauptet, die offizielle Verhandlungssprache des Kongresses.
    Bereits am vierten Tag des Treffens, dem 5. Juni, teilten die südslawischen Delegierten mit, der Ausbruch von Kämpfen zwischen den Magyaren und den Serben der (ungarischen) Wojwodina erfordere ihre rasche Rückreise. Die Zeit drängte also. Nach intensiver Debatte verabschiedete der Kongreß ein «Manifest an die europäischen Völker». Darin hieß es, die Slawen strebten nicht nach Eroberung und Beherrschung, sondern nur nach Freiheit für sich und alle anderen; sie lehnten alle Klassenprivilegien ab und verlangten unbedingte Gleichheit vor dem Gesetz sowie ein gleiches Maß von Rechten und Pflichten. Nicht weniger geheiligt als die natürlichen Rechte des Menschen sei die Nation, der Inbegriff aller spirituellen Bedürfnisse und Interessen. Das Manifest verurteilte die Unterdrückung der Slawen durch Deutsche und Magyaren und namentlich die Teilung Polens. Mit Blick auf Österreich forderte es die Umwandlung des Kaiserreichs in eine Konföderation gleichberechtigter Nationen. Den Abschluß bildete ein Appell an ganz Europa: «Wir, die wir die Jüngsten, doch nicht die Schwächeren, auf der politischen Bühne Europas wieder erscheinen, tragen sofort auf die Beschickung eines europäischen Völkerkongresses zur Ausgleichung aller internationalen Fragen an; denn wir sind überzeugt, daß sich freie Völker leichter untereinander verstehen als bezahlte Diplomaten.»
    Dem Manifest folgte die Verständigung auf den Entwurf einer Adresse an den Kaiser in Wien. Darin versicherten die Repräsentanten der in der österreichischen Reichshälfte lebenden Slawen, sie wollten «mit vielerprobter Kraft und Treue» zur Wiedergeburt des österreichischen Staates beitragen. Im einzelnen forderte die Adresse für die Mähren wie für die «Galizier des polnischen und des ruthenischen Stammes» die gleichen Rechte, wie sie die Böhmen bereits durch ein kaiserliches Patent vom 8. April genössen, und für die Slowenen eine Vereinigung derselben in einem eigenen Königreich sowie die Anerkennung des Slowenischen als Schul-, Amts- und Gerichtssprache. Gleichzeitig verwahrten sich Böhmen, Mähren und Slowenen gegen «jede Einverleibung mit Deutschland, welche die Souveränität des österreichischen Monarchen beeinträchtigen und die erwähnten Völker von einem fremden, gesetzgebenden Parlament abhängig machen würde». Ziel der Unterzeichner sei nicht, wie die Gegner des Slawenkongresses behaupteten, ein Slawenstaat, sondern die

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