Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
gegen die ungarische Revolution versprach. Die russische Intervention war keine Folge der Unabhängigkeitserklärung. Daß sie erfolgen würde, stand schon vor dem 14. April fest. Bereits im Februar hatte das Zarenreich den Österreichern in Siebenbürgen militärische Hilfe gewährt; die vereinigte russisch-österreichische Armee war dann allerdings am 11. März von General Bem bei Hermannstadt vernichtend geschlagen worden.
Seitdem bestand der Zar auf einer umfassenden Intervention großen Stils, um die Österreich ihn aber offiziell und öffentlich ersuchen müsse. Am 1. Mai bat Kaiser Franz Joseph Zar Nikolaus, wie von diesem gewünscht, in aller Öffentlichkeit um bewaffnete Hilfe «im Kampf gegen die Anarchie». Am 17. Juni überschritt eine russische Armee unter dem Befehl von Fürst Iwan Paskewitsch die ungarische Grenze. Insgesamt bestand die russische Streitmacht aus etwa 200.000 Mann und 600 Geschützen. Zusammen mit den Österreichern und den von Jellacic befehligten Kroaten und Serben kamen die Verbündeten auf mindestens 360.000 Mann und mindestens 1200 Geschütze. Die Ungarn verfügten über 170.000 Soldaten und 500 Feldgeschütze.
Die ungarische Führung versuchte eine Volkserhebung, ja einen «heiligen Krieg» gegen die russische Intervention auszulösen, wozu auch die Aufforderung an die Bauern gehörte, ihren Besitz anzuzünden und die Ernte zu vernichten. Doch diese Aufrufe verhallten ungehört. ähnlich erging es Kossuth mit seinen Appellen an Europa und Amerika. Die französische Nationalversammlung bekundete zwar am 12. Juli auf Drängen der Linken ihre Sympathie mit den freiheitsliebenden Ungarn. Aber Einfluß auf das Handeln der Regierung, deren Außenminister von Juni bis Oktober 1849 Alexis de Tocqueville war, hatte die Entschließung nicht. Die britische Regierung unter Lord Russell betrachtete Ungarn als Teil des Habsburgerreiches und dieses als ein Unterpfand des europäischen Gleichgewichts; Außenminister Lord Palmerston forderte die Russen sogar auf diplomatischem Weg zu raschem Handeln (und Österreich zu Großmut nach dem Sieg) auf. Bereitschaft, Kossuths Wunsch nach Anerkennung Ungarns zu erfüllen, zeigte hingegen der amerikanische Präsident Zachary Taylor, an den sich der Gouverneur-Präsident am 6. Mai brieflich gewandt hatte. Ein Abgesandter Washingtons, der herausfinden sollte, ob Ungarn wirklich unabhängig war, gelangte jedoch nicht über Wien hinaus. Als Bundesgenossin der Magyaren sah sich nur die Republik Venedig unter ihrem Führer Daniele Manin. Ein wechselseitiges Schutz- und Trutzbündnis, das am 3. Juni 1849 abgeschlossen wurde, stand freilich nur auf dem Papier: Die ungarischen Streitkräfte waren von der Adria abgeschnitten, und Venedig wurde bereits von den Österreichern belagert.
Im Juli bemühte sich die ungarische Nationalversammlung, erst die Rumänen in Siebenbürgen, dann die anderen nichtmagyarischen Nationalitäten durch Anerkennung weitgehender Rechte unterhalb der Schwelle der Autonomie und die Juden durch ein Emanzipationsgesetz für den Freiheitskampf zu gewinnen. Doch diese Zugeständnisse kamen zu spät, um die erwarteten Folgen zeitigen zu können. Militärisch war die Lage Ungarns im Sommer 1849 so ernst, daß Kossuth und General Artúr Görgey, der Befehlshaber der Armee, in konkurrierende Geheimverhandlungen mit den Russen eintraten; Kossuth bot den Romanows sogar die Stephanskrone an. In Transsylvanien und Siebenbürgen wurde Bem von den Russen geschlagen; am 9. August mußten die Ungarn unter seiner Führung bei Temesvar eine verheerende Niederlage durch die Österreicher unter General Julius von Haynau hinnehmen. Zwei Tage später zwang Görgey, der die Fortführung des Kampfes für sinnlos hielt, mit Hilfe einiger Minister Kossuth zum Rücktritt, wobei er sich selbst vom bisherigen Präsidenten dessen sämtliche Vollmachten übertragen ließ.
Die Kapitulation Görgeys, die zunächst nur eine Teilkapitulation war, erfolgte am 13. August 1849 bei Világos, und zwar gegenüber den Russen, von denen sich die Ungarn eine bessere Behandlung erhofften als von den Österreichern. Tatsächlich setzte sich die russische Seite bei den Österreichern für eine Begnadigung der ungarischen Soldaten ein, hatte damit aber keinen Erfolg. In den Tagen nach Világos ergaben sich auf die Aufforderung Görgeys hin auch die meisten anderen ungarischen Kommandeure. Bem verweigerte die Kapitulation und entkam mit Teilen seiner Truppen in das Osmanische Reich.
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