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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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für die Siedler noch eines Beweises bedurft hätte, daß Georg III. kein «Patriot King» im Sinne des in Amerika vielgelesenen Bolingbroke, sondern ein Tyrann war: der Einsatz deutscher Söldner in den nordamerikanischen Kolonien der britischen Krone erbrachte ihn.[ 203 ]
    Das harte Nein, das der König den verständigungsbereiten Amerikanern entgegenschleuderte, stärkte die radikaleren Kräfte. Im Januar 1776 veröffentlichte der (bei dieser Gelegenheit anonym bleibende) Journalist Thomas Paine, der erst zwei Jahre zuvor aus England nach Amerika gekommen war, ein politisches Manifest unter dem Titel «Common Sense». Es erreichte innerhalb von drei Monaten eine Auflage von 120.000 Exemplaren und war damit wohl eine der erfolgreichsten Kampfschriften des 18. Jahrhunderts. Hatten sich die Sprecher der Kolonisten bisher auf die Freiheitsrechte und Institutionen der englischen Verfassung berufen, so nannte Paine das Recht auf eine eigene Regierung ein Naturrecht. In der englischen Verfassung erkannte er neben einem republikanischen Element, dem Unterhaus, die Überreste von zwei alten Formen der Tyrannei, wobei die monarchische Tyrannei in den Mitgliedern des Oberhauses nachlebe. Die Monarchie sei stets der Papismus unter den Regierungssystemen (monarchy in every instance is the popery of government). Je näher aber ein Regierungssystem der Republik komme, desto weniger gebe es Bedarf an einem König.[ 204 ]
    Paines Botschaft war der Bruch mit England durch Erklärung der Unabhängigkeit: «England to Europe, America to itself» (England gehört nach Europa, Amerika gehört sich selbst). Es sei absurd zu glauben, ein Kontinent könne auf Dauer von einer Insel regiert werden. Der Gedanke an Versöhnung habe sich als trügerisch erwiesen. Für Amerika gab es nach der Überzeugung des Autors nur eine politische Zukunft: die einer unabhängigen Republik. Monarchien seien von Natur aus kriegerisch, Republiken friedlich: «The republics of Europe are all (and we may say always) in peace.» (Die Republiken Europas leben alle, und wir können sagen: immer, in Frieden untereinander.) Paine verwies, um diese These zu belegen, auf das wechselseitige Verhältnis zwischen den Niederlanden und der Schweiz. So wie in absoluten Monarchien der König das Gesetz sei, so sei in Amerika das Gesetz der König (that in America the law is King), und einen anderen König dürfe es nicht geben. Das Gesetz, das Paine meinte, war kein von Menschen geschriebenes, sondern ein höheres: das göttliche oder natürliche Recht der Menschen auf Selbstregierung.[ 205 ]
    Nie zuvor war ein englischer oder amerikanischer Autor Locke so fern gewesen und Rousseau so nahe gekommen wie Paine in seinem «Common Sense». Was diesen Vorkämpfer der Unabhängigkeit interessierte, war nicht das Problem, wie Macht durch Gewaltenteilung gebändigt werden konnte. Ihm ging es ausschließlich um die Übertragung der Macht vom König auf das Volk, die Ersetzung der monarchischen Legitimität durch die Volkssouveränität. Um den revolutionären Bruch mit England herbeizuführen, bedurfte es einer derart scharfen Zuspitzung des Gegensatzes von «Tyrannei» und «Republik», wie Paine sie betrieb. Für den Aufbau einer freiheitlichen Ordnung aber reichte sein Radikalismus nicht aus. War die Unabhängigkeit erst erkämpft, mußten die Erfahrungen der englischen Verfassungsgeschichte, vor allem der des 17. Jahrhunderts, und die Einsichten der antiken und der modernen Klassiker des politischen Denkens neue Bedeutung gewinnen. Die Väter der amerikanischen Revolution kannten dieses Erbe, und das bewahrte die meisten von ihnen vor der Gefahr, sich von den Höhenwinden der Abstraktion davontragen zu lassen und an der eigenen Rhetorik zu berauschen.
    «Common Sense» erntete neben begeisterter Zustimmung auch Widerspruch, aber der Beifall überwog. Die Bereitschaft, den Bruch mit Großbritannien zu vollziehen, wuchs seit Anfang 1776 deutlich. Das galt für die Presse, die Öffentlichkeit, die Provinzialkongresse, die in vielen Kolonien die bisherigen Volksvertretungen abgelöst hatten, und den Kontinentalkongreß. Diesem gehörten seit dem September 1775 auch Delegierte aus Georgia an, so daß er nunmehr für alle 13 Kolonien sprechen konnte. Am 10. Mai 1776 empfahl der Kongreß allen Kolonien, die das noch nicht getan hatten, neue Verfassungen zu erlassen und neue Regierungen zu bilden, also mit der kolonialen Ordnung zu brechen.
    Sechs Wochen später, am 12. Juni 1776,

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