Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
zog, hatte hierbei den eigenen König gegen sich und mußte sein Amt schon am 20. Juni 1848 aufgeben.) Ein revolutionärer europäischer Volkskrieg gegen Rußland war eine Schimäre. Wäre es unter Mitwirkung Preußens zu einem solchen Waffengang gekommen, hätte die Gegenrevolution in Mitteleuropa wahrscheinlich auf breiterer Front und auf blutigere Weise triumphiert, als sie es in den zwei Jahren zwischen dem Herbst 1848 und dem Spätjahr 1850 tat. Die gemäßigten Liberalen hatten folglich zwingende Gründe, den Utopien der radikalen Linken nicht minder scharf entgegenzutreten als die Konservativen.
Die konservativen Kräfte waren in Deutschland 1848/49 vor allem deshalb so erfolgreich, weil nur Minderheiten einen vollständigen Bruch mit der Vergangenheit anstrebten. Eine Revolution im Sinne der entschiedenen Linken hätte so unabsehbare Folgen nach sich gezogen, daß die überkommenen Zustände den allermeisten immer noch erträglicher erschienen als das Unbekannte in Gestalt der deutschen Republik, der sozialen Revolution, des Bürgerkriegs oder gar des Weltkriegs, wie Marx und Engels ihn propagierten. Das galt nicht nur für das gebildete und besitzende Bürgertum, sondern auch für die breite Mehrheit der Kleinbürger, der Bauern und der Arbeiter. Der gemäßigte Liberalismus, der die Revolution nicht gewollt hatte, rückte in dem Maß nach rechts, wie die Linke sich radikalisierte. Umgekehrt förderte der Verdacht, die Gemäßigten seien zur bedingungslosen Unterwerfung unter die alten Gewalten bereit, die Radikalisierung der Linken. Das war die Dialektik der deutschen (und nicht nur der deutschen) Revolution von 1848/49.
Es waren im übrigen nicht nur die Liberalen, die sich den Konservativen annäherten. Es gab auch eine konservative Annäherung an den Liberalismus. Anfang 1849 legte der Staatsrechtler Friedrich Julius Stahl, ein zum Luthertum übergetretener Sohn jüdischer Eltern, der Friedrich Wilhelm IV. nahestand und als Verteidiger des «christlichen Staates» hervorgetreten war, in seinem «Entwurf für eine conservative Partei» ein Bekenntnis zur «Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung» ab, weil diese Ordnung gegenwärtig eine Schranke sei «gegen Willkür des Volkes wie bisher gegen Willkür des Fürsten». Der Rechtsstaat war, so gesehen, die Antwort auf die «permanente Revolution», die Verfassung ein Schutzwall gegen die Demokratie. Die nachrevolutionären Konservativen Preußens um Stahl und Ernst Ludwig von Gerlach gaben damit das «monarchische Prinzip», wonach die höchste Gewalt des Staates die des Königs war, nicht auf. Sie schränkten es nur soweit ein, wie das unter den neuen Verhältnissen erforderlich war.
Die preußische Verfassung vom 5. Dezember 1848 war eine oktroyierte; sie wurde in Zusammenarbeit zwischen der Regierung und den beiden Kammern des Landtags 1849/50 gründlich revidiert, und zwar durchgängig im Sinne der monarchischen Gewalt. Der König war wieder ein «Herrscher von Gottes Gnaden»; die Regierung hing nur vom Vertrauen des Königs und nicht des Parlaments ab; Heer, Beamtentum und Diplomatie unterlagen nicht der Kontrolle der Volksvertretung; Verfügungen des Monarchen bedurften zwar der Gegenzeichnung, aber die Kommandogewalt war hiervon ausdrücklich ausgenommen, so daß ein Stück Absolutismus in den preußischen Konstitutionalismus hinübergerettet wurde und diesen für viele Kritiker zum «Scheinkonstitutionalismus» machte. Die massivste Änderung der Verfassung bildete in den Augen der Öffentlichkeit aber die Ersetzung des allgemeinen gleichen Wahlrechts durch ein Dreiklassenwahlrecht durch königlichen Octroi vom 30. Mai 1849. Das Dreiklassenwahlrecht entstammte der Rheinischen Gemeindeordnung von 1845 und entsprach durchaus den Interessen seiner «Erfinder», der gemäßigten Liberalen. Die Demokraten hingegen beschlossen aus Protest gegen den neuerlichen Octroi, sich nicht mehr an Wahlen zum Abgeordnetenhaus zu beteiligen. Bei den Landtagswahlen vom Juli 1849 wurde dieser Beschluß erstmals in die Tat umgesetzt.
Als die Revision am 5. Februar 1850 durch Verkündung der überarbeiteten Verfassung in der Gesetzessammlung formell abgeschlossen wurde, war der Hohenzollernstaat trotzdem immer noch eine Monarchie des konstitutionellen Typs. Anders als Österreich, das seine oktroyierte Verfassung vom 4. März 1849 durch ein kaiserliches Patent am 31. Dezember 1851 wieder aufhob und damit zum Absolutismus zurückkehrte, blieb Preußen auch in der
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