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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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zu denken. Als die außerösterreichischen Deutschen ein Jahr später schließlich bereit waren, sich zumindest vorläufig mit der kleindeutschen Lösung zu begnügen, war sie außenpolitisch nicht mehr möglich. Eine Politik, die darauf abzielte, hätte einen Krieg mit Österreich und höchstwahrscheinlich auch mit Rußland bedeutet. Einen solchen Krieg zu führen war Preußen, auf das alles ankam, aus guten Gründen nicht bereit.
    Ohne Preußen ließen sich deutsche Nationalinteressen nach außen nicht wirksam vertreten: Das hatte sich schon im Sommer 1848 beim deutsch-dänischen Krieg um Schleswig gezeigt. Eben deshalb war es den gemäßigten Liberalen nie in den Sinn gekommen, den preußischen Soldatenstaat radikal in Frage zu stellen. Er wurde aus nationalen Gründen gebraucht, und auch darum blieb er bestehen. Und nur weil er die Revolution im wesentlichen unbeschädigt überdauert hatte, konnte der König von Preußen im Herbst 1848 die Gegenrevolution wagen.
    Die deutsche Frage erschöpfte sich 1848/49 aber nicht in der Alternative «kleindeutsch oder großdeutsch». 1813 hatte Ernst Moritz Arndt auf die selbstgestellte Frage «Was ist des Deutschen Vaterland?» die Antwort gegeben: «Soweit die deutsche Zunge klingt». Hätte die deutsche Nationalversammlung konsequent an dem bislang in Deutschland vorherrschenden sprachlichen und kulturellen, vermeintlich «objektiven» Verständnis von Nation festgehalten, wäre es logisch gewesen, das Elsaß und Teile von Lothringen für Deutschland zu beanspruchen, wie Arndt es 35 Jahre zuvor getan hatte. Die Paulskirche war realistisch genug, das nicht zu tun. Von der sprachlichen Bestimmung von Nation wich sie freilich auch dadurch ab, daß sie nicht auf Gebiete verzichten wollte, die zwar nicht deutschsprachig, aber seit langem mit Deutschland verbunden waren.
    Arndt selbst war es, der im Hinblick auf Böhmen und Mähren am 5. Juni 1848 in der Nationalversammlung den Grundsatz aufstellte, «daß, was ein Jahrtausend zu uns gehört hat und ein Teil von uns gewesen ist, ferner zu uns gehören muß». Aus ähnlichen Gründen war es unter den Abgeordneten der Paulskirche nicht strittig, daß auch «Welschtirol», das italienischsprachige Gebiet um Trient, das zum Territorium des Deutschen Bundes gehörte, einen Teil des künftigen Deutschen Reiches bilden mußte. Schleswig war zwar kein Teil des Deutschen Bundes, sollte aber, weil es historisch mit Holstein verbunden war, ungeachtet eines starken dänischsprachigen Bevölkerungsanteils in Gänze in den deutschen Nationalstaat aufgenommen werden.
    Dem französischen (oder westlichen) Prinzip, daß die Zugehörigkeit zu einer Nation vom Willen der Individuen abhing, sich also auf eine subjektive politische Entscheidung gründete, folgten die Deutschen nur dort, wo sie, wie in den preußischen Ostgebieten, Angehörige anderer Nationalitäten assimiliert hatten. Am krassesten verstießen die liberalen Nationalisten im Fall Posens gegen den Grundsatz der Selbstbestimmung: Hier wurden weniger historische als strategische Gründe vorgebracht, um die Einbeziehung polnischsprachiger Gebiete in den deutschen Nationalstaat zu rechtfertigen. Zu Beginn der Revolution hatte es in Deutschland noch verbreitete Sympathien für das polnische Streben nach nationaler Unabhängigkeit gegeben. Doch schon wenige Monate später obsiegte der (vom Abgeordneten Wilhelm Jordan in der Polendebatte vom Juli 1848 so genannte) «gesunde Volksegoismus» über eine Haltung, die nun als sentimentaler Ausdruck einer romantischen Schwärmerei galt. Von moralischer und politischer Unterstützung der gegen ihren Willen geteilten und seit vielen Jahrzehnten unterdrückten Polen konnte bei der großen Mehrheit des Parlaments keine Rede mehr sein.
    An der vormärzlichen Polenfreundschaft und dem Gedanken der Solidarität aller freiheitsliebender Völker, dem Traum des «Völkerfrühlings», hielt in Deutschland nur die äußerste Linke fest. Sie tat es jedoch mit einer Konsequenz, die ihre politische Isolierung besiegelte: Sie verlangte den großen europäischen Befreiungskrieg gegen die Vormacht der Reaktion, Rußland. Das Zarenreich war so reaktionär und konterrevolutionär, wie es die internationalistische Linke behauptete, aber keine der anderen europäischen Großmächte dachte 1848 ernsthaft daran, Krieg gegen Rußland zu führen. (Der liberale preußische Außenminister Heinrich Alexander von Arnim-Suckow, der diese Möglichkeit zeitweilig in Erwägung

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