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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Täufer- und Quäkertum entstammt der großen religiösen Bewegung der englischen Revolution, dem Independentismus. Dieser Independentismus selbst aber war aufs stärkste mit Einflüssen des Täufertums durchsetzt, die von den Resten des alten englischen Täufertums, von Holland, dem kontinentalen Zufluchtsort der Täufer, und von den amerikanischen Flüchtlingen her auf England wirkten. Nicht minder hat hier der mystische Spiritualismus seine die Kirchen auflösende und Gewissensfreiheit heischende Wirkung geübt. Hier haben diese Stiefkinder der Reformation überhaupt endlich ihre weltgeschichtliche Stunde erlebt.»
    Die Väter der amerikanischen Unabhängigkeit waren in erheblicher Zahl keine gläubigen Christen, so wie die Puritaner sie sich vorstellten. Sie glaubten wohl an einen belohnenden und strafenden Gott oder zumindest an ein höheres Wesen, aber längst nicht alle an die Gottheit Christi. Die meisten waren auf die eine oder andere Weise Deisten im Sinne der Aufklärung, nicht wenige, wie George Washington und Benjamin Franklin, Freimaurer. Jefferson blieb zeit seines Lebens formell Mitglied der (anglikanischen) Protestant Episcopal Church, hielt die Dreieinigkeit privat aber für etwas, was dem menschlichen Geist nicht zugänglich war. Die tief gläubigen Vorkämpfer der Glaubensfreiheit wie Roger Williams und William Penn hatten den Grund gelegt für einen protestantisch geprägten Pluralismus. Er war eine der Voraussetzungen dafür, daß sich die Idee der allgemeinen Menschenrechte zuerst in Amerika durchsetzen konnte. Aber der Geist der Aufklärung half dabei, und es ist schwer vorstellbar, daß ohne seine Mitwirkung so weltliche Dokumente wie die Declaration of Rights von Virginia und die Unabhängigkeitserklärung je das Licht der Welt erblickt hätten.
    Die Glaubensfreiheit, wie sie die Menschenrechtserklärung von Virginia gewährleistete, findet sich im übrigen in so reiner Form in den meisten Verfassungen der Einzelstaaten aus der Zeit des Unabhängigkeitskrieges nicht. In Maryland, South Carolina und Georgia wurden die Regierungen ermächtigt, die christliche Religion mit Steuermitteln zu fördern. Viele Verfassungen machten die Übertragung öffentlicher Ämter von bestimmten religiösen Vorbedingungen abhängig. In New Hampshire, Connecticut, New Jersey, Georgia und den beiden Carolinas mußten die Amtsinhaber Protestanten, in Maryland und Delaware Christen sein. In Pennsylvanien und South Carolina war der Glaube an einen Gott und an Himmel und Hölle Voraussetzung für die Bekleidung eines öffentlichen Amtes. In Connecticut, New Hampshire und Massachusetts verloren die hier tonangebenden Kongregationalisten ihre Privilegien erst zwischen 1818 und 1833. Die Menschenrechtserklärungen waren so gesehen kein posthumer Triumph für Roger Williams, sondern nur ein Teilsieg der Aufklärung. Die Religionsfreiheit war nicht , wie Georg Jellinek annahm, die Keimzelle der Menschenrechte.
    Was immer einzelne Staaten unternahmen, um ein «disestablishment» von Staat und Kirche aufzuhalten, auf Bundesebene war ein klarer Trennungsstrich unumgänglich, weil sich andernfalls aus 13 Staaten mit jeweils unterschiedlichen konfessionellen Verhältnissen keine Union hätte bilden lassen. Die Abgrenzung lag zudem in der inneren Logik des historischen Gegensatzes zwischen Freikirchen und anglikanischer Staatskirche. Die meisten religiösen Gemeinschaften wollten frei sein von Bindungen an die Staatsgewalt, und die spiritualistische Erweckungsbewegung, die in den 1730er Jahren einsetzte, verstärkte die Neigung, sich allein aus eigener Kraft zu behaupten. Unter dem Einfluß des ersten «Great Awakening» wich der altcalvinistische Gedanke der Erwählung aus göttlicher Gnade allmählich dem neucalvinistischen Glauben, daß die Bekehrung des reuigen Sünders den Weg zur Vervollkommnung und zur Erlösung ebnen könne. Das «große Erwachen» wertete den Glauben der Gläubigen auf und die wissenschaftliche Theologie ab; es führte zur Vervielfachung der Zahl der Religionsgemeinschaften und Sekten – einer Entwicklung, die auf Kosten der größeren Kirchen ging und am stärksten den Methodisten, einer aus England stammenden, von den Brüdern John und Charles Wesley begründeten Laienbewegung, zugute kam. In seiner radikalen oder fundamentalistischen Form war der Spiritualismus vor allem eins: ein bigotter Anti-Intellektualismus.
    Als Tocqueville 1830/31, unter der Präsidentschaft von Andrew Jackson, die

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