Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
hatten die Freunde einer dezentralen, auf die Einzelstaaten gestützten Ordnung noch immer einen starken Rückhalt.
Das galt auch für den Staat New York, wo die Föderalisten folglich große Anstrengungen unternahmen, um ein Ja zur Verfassung in der Convention sicherzustellen. Ihr wichtigster Beitrag zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung waren die «Federalist Papers»: 85 Artikel, die zwischen Oktober 1787 und August 1788 in drei New Yorker Zeitungen erschienen. Unterzeichnet waren die Texte jeweils von «Publius» eine Anspielung auf jenen Publius Valerius Publicola, der Plutarch zufolge als Gesetzgeber die römische Republik gerettet hatte. Hinter dem Pseudonym verbargen sich Alexander Hamilton, James Madison und der New Yorker Rechtsanwalt John Jay, der mehrere Jahre lang dem Kontinentalkongreß angehört hatte, einer der Unterhändler der Vereinigten Staaten bei den Friedensverhandlungen mit Großbritannien in Paris gewesen war und im September 1789 zum ersten Obersten Richter ernannt wurde.
Eine der Hauptsorgen der Verfasser galt der Gefahr, daß das Gemeinwesen durch Parteienkämpfe politisch gelähmt, ja zerstört werden könne. Als die häufigste Ursache solcher Kämpfe betrachteten sie die ungleiche Verteilung von Eigentum. Nach ihrer Meinung war die Gefahr, daß ein Gemeinwesen durch den Parteigeist zugrunde gerichtet wurde, um so größer, je kleiner der Staat war. Dafür gab es in der Geschichte schlagende Beispiele. «Es ist unmöglich», so Hamilton in «Federalist No. 9», «die Geschichte der kleinen griechischen und italienischen Republiken zu lesen, ohne Schrecken und Widerwillen über die Wirrnisse zu empfinden, die sie unentwegt erschüttert haben, und über die schnelle Abfolge von Revolutionen, durch die sie in einem Zustand ständigen Schwankens zwischen den Extremen Tyrannei und Anarchie gehalten wurden.»
In «Federalist No. 10» bemühte sich Madison deshalb um den Nachweis, daß eine große Republik am ehesten in der Lage war, die unvermeidlichen Gegensätze der Interessen und Überzeugungen auszugleichen und die Parteileidenschaft zu überwinden (to break and control the violence of faction). Die größere Republik verfüge über eine größere Auswahl von Persönlichkeiten, die fähig seien, sich über enge Parteiinteressen und örtliche Vorurteile zu erheben. «Eine religiöse Sekte mag in einem Teil der Konföderation zu einer politischen Parteiung degenerieren; aber die Vielfalt der Sekten, die die ganze Konföderation durchziehen, schützt die nationalen Vertretungskörperschaften gegen jede Gefahr von dieser Seite. Forderungen wie die, die Papiergeldmenge zu erhöhen, die Schulden abzuschaffen, das Eigentum gleich aufzuteilen oder andere falsche oder böswillige Vorhaben durchzusetzen, werden weniger leicht die gesamte Union ergreifen als einen einzelnen Mitgliedstaat – ebenso wie eine derartige Krankheit eher einen Kreis oder einen Distrikt befällt als einen ganzen Staat. In der Ausdehnung und einer sinnvollen Gliederung der Union (the extent and proper structure of the Union) sehen wir deshalb ein republikanisches Heilmittel für die Krankheiten, die die republikanische Ordnung am ehesten befallen.»[ 210 ]
Ein gewisses, aber letztlich doch nur scheinbares Problem lag darin, daß Montesquieu, die von den Verfassern der «Federalist Papers» am häufigsten zitierte Autorität, ausdrücklich festgestellt hatte, Republiken seien nur auf kleinen Gebieten möglich. Doch der Autor des «Geistes der Gesetze» hatte auch eingeräumt, daß sich Republiken zu einem Staatenbund zusammenschließen könnten, dessen Verfassung ebenfalls republikanisch sei. (Montesquieu verwies in diesem Zusammenhang auf die Beispiele der Schweiz und Hollands.) Ein ebensolcher republikanischer Zusammenschluß von Republiken waren die Vereinigten Staaten von Amerika – oder besser: Sie wurden es durch die Inkraftsetzung der Verfassung.[ 211 ]
Mehr noch als eine kleine Republik bedurfte eine große einer repräsentativen Regierung. Die Verfasser der «Federalist Papers» waren entschiedene Gegner von Demokratie im Sinne direkter Volksherrschaft. «Republik» war für sie geradezu der Gegenbegriff zu einer so verstandenen «Demokratie» und gleichbedeutend mit einem vom Volk durch Wahlen legitimierten Repräsentativsystem. Madison erläuterte in «No. 4» den «wahren Unterschied» zwischen Demokratie und Republik in Form einer scharf zugespitzten Definition: «Es ist der, daß in einer Demokratie
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