Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
Verträge oder Bündnisse mit auswärtigen Mächten oder anderen Staaten der Union abzuschließen, war den Einzelstaaten ebenso untersagt wie die Bildung einer Konföderation. Nur im Fall eines tatsächlichen Angriffs oder wenn eine unmittelbar drohende Gefahr keinen Aufschub duldete, durfte ein Staat sich in einen Krieg einlassen.
Die Verfassung sah keine konkurrierende Gesetzgebung von Bund und Einzelstaaten vor, sondern getrennte Zuständigkeitsbereiche, innerhalb derer beide selbständig tätig werden konnten. Diese Grundsatzentscheidung führte zu der Theorie der «doppelten Souveränität», auf die sich vor allem diejenigen beriefen, die den Einzelstaaten einen möglichst großen Spielraum sichern wollten. Tatsächlich besaß der Bund nicht nur das Recht zur alleinigen Vertretung der Union nach außen und die Kontrolle über die hierfür notwendigen Machtmittel, sondern dank des Oberbefehls des Präsidenten über die Milizen der Einzelstaaten auch die Möglichkeit, die Interessen der Union im Innern durchzusetzen. Dazu kam die Generalklausel im 8. Abschnitt des ersten Artikels der Verfassung: Sie gestand dem Kongreß das Recht zu, alle zur Ausübung seiner Befugnisse notwendigen und zweckdienlichen Gesetze zu erlassen. Der Supreme Court leitete daraus 1819 die Theorie der «implied powers», der stillschweigend zuerkannten Befugnisse, ab und rechtfertigte damit die Errichtung der in der Verfassung nicht ausdrücklich vorgesehenen Bundesbank. Die Souveränität der Union unterlag verfassungsmäßigen Beschränkungen, aber eine Teilung der Souveränität zwischen Bund und Einzelstaaten gehörte nicht dazu.
Am 17. September 1787, vier Monate nach ihrer konstituierenden Sitzung, unterzeichneten 42 der 45 anwesenden Mitglieder des Konvents unter einstimmiger Billigung aller anwesenden Einzelstaaten die Verfassung. Um in Kraft zu treten, mußte das Dokument aber noch von mindestens neun der dreizehn Mitgliedstaaten der Union ratifiziert werden, und dieser Prozeß nahm weitere neun Monate in Anspruch. Besonders lebhaft verlief die Auseinandersetzung in Massachusetts, das kurz zuvor von heftigen Farmerprotesten erschüttert worden war. Am 6. Februar 1788 stimmte der Ratifizierungskonvent in Boston der Verfassung mit der knappen Mehrheit von 187 zu 168 Stimmen zu.
Das Ja wurde durch das Versprechen der Befürworter ermöglicht, der Verfassung in Form von «Amendments» einen Grundrechtekatalog hinzuzufügen. (Der Konvent hatte darauf verzichtet, weil er für ausreichend hielt, was die Bundesverfassung und die Verfassungen der meisten Einzelstaaten dazu sagten, und die Geltung der unveräußerlichen Menschenrechte im Sinne der Unabhängigkeitserklärung für «self-evident» erachtete.) Da die anderen Staaten sich der Position von Massachusetts anschlossen, kam die 1791 in Kraft getretene «Bill of Rights» zustande: die ersten zehn Zusatzartikel zur Verfassung, die unter anderem die Religions-, Rede-, Presse- und Versammlungsfreiheit gewährleisteten, den Grundsatz «ne bis in idem» bekräftigten, wonach niemand wegen derselben Straftat zweimal gerichtlich verfolgt werden darf, und festlegten, daß niemand ohne vorheriges ordentliches Gerichtsverfahren (without due process of law) seines Lebens, seiner Freiheit und seines Eigentums beraubt werden durfte. Zu einer für die Gesetzgebungsorgane der Einzelstaaten verbindlichen Richtschnur wurden diese Grundrechte freilich erst sehr viel später, nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg, durch das 14. Amendment aus dem Jahre 1868. Für die Annahme der Verfassung besonders wichtig war das 10. Amendment, das kein individuelles Grundrecht, sondern ein Vorbehaltsrecht der Einzelstaaten verbürgte: Sie beziehungsweise das Volk behielten die Machtbefugnisse, die von der Verfassung weder der Union übertragen noch den Einzelstaaten entzogen wurden.[ 209 ]
Die Befürworter der Verfassung dachten in den Kategorien eines mächtigen Amerika, dem eine führende Rolle in der Welt zustand. Schon deshalb erstrebten sie eine starke Bundesgewalt und nannten sich darum Föderalisten (Federalists). Den Gegnern, die genau dies verhindern wollten, weil sie in jeder Zentralisierung einen Schritt in Richtung Despotie sahen, verliehen sie den Namen Anti-Föderalisten (Anti-Federalists). Im Konvent zu Philadelphia hatten die Föderalisten zuletzt die überwältigende Mehrheit der Delegierten auf ihrer Seite gehabt. In den Volksvertretungen der Einzelstaaten und in der breiten Öffentlichkeit aber
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