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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Republikaners Chester A. Arthur wurde 1883 die Civil Service Commission eingesetzt, die zumindest für nachgeordnete Verwaltungspositionen ein «merit system» einführte, das auf Auslese durch Prüfungen beruhte.
    In Europa hatte schon der Staat der frühen Neuzeit im Sinne der «Guten Policey» soziale Fürsorgepflichten übernommen, von denen eine ungebrochene Linie zum modernen Wohlfahrtsstaat führt. Im Mai 1891 erlegte Papst Leo XIII. in seiner Enzyklika «Rerum novarum» dem Staat die Pflicht auf, die Besitzlosen in seine besondere Obhut zu nehmen und, entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip, einzugreifen, wenn die persönliche Würde und die Menschenrechte der Lohnarbeiter vor der Ausbeutung durch die Arbeitgeber anders nicht zu sichern waren. In den Vereinigten Staaten war die Wohlfahrt vorrangig eine Sache der freiwilligen gesellschaftlichen Initiative und der Kirchen. Der Staat wurde nur selten tätig, um soziale Mißstände zu beheben, und wenn er es tat, wurde er oft sogleich wieder von den Gerichten bis hinauf zum Supreme Court in seine Schranken verwiesen. Die Überzeugung, daß jeder seines Glückes Schmied ist, hatte ihre Kehrseite: Wer beim «pursuit of happiness» keinen Erfolg hatte, mußte selbst die Folgen tragen.
    Tief waren auch die Gräben zwischen dem philosophischen Denken in Amerika und auf dem europäischen Kontinent. Die vorherrschende Denkrichtung in den Vereinigten Staaten war um 1900 der Pragmatismus, wie ihn Charles Sanders Peirce, William James und John Dewey vertraten. Das Denken hatte dem Pragmatismus zufolge im Dienst des Lebens zu stehen; wahr waren nur Vorstellungen, deren praktische Konsequenzen sich bewährten. Gelegentlich wird auch Friedrich Nietzsche dem Pragmatismus zugerechnet. Aber seine Lebensphilosophie war von ganz anderer Art als jene, die auf der anderen Seite des Atlantiks gelehrt wurde. Nietzsches Fundamentalkritik an der «Sklavenmoral» des Christentums, seine Denunziation der Demokratie als Verfallsform des Staates, seine Verherrlichung des Willens zur Macht, der Herrenmoral und des Übermenschen: all das widersprach zutiefst dem amerikanischen Pragmatismus. ähnliches gilt von Henri Bergsons Lehre vom «élan vital», der vom Lebensdrang bestimmten schöpferischen Entwicklung des Individuums wie des Universums. Mit den nüchternen Maximen des «learning by doing» und des «trial and error» hatten die irrationalistischen Erscheinungsformen der europäischen Lebensphilosophie des späten 19. Jahrhunderts wenig gemein.
    Nicht alles an Amerika war modern, und nicht alles, was modern war, kam aus Amerika. Wohl in keinem anderen protestantisch geprägten Land war der Glaube an die «Verbalinspiration», die göttliche Eingebung, der Autoren der Heiligen Schriften des Alten und des Neuen Testaments so weit verbreitet wie in den Vereinigten Staaten: Der christliche Fundamentalismus (wie man heute sagen würde) war aufklärungsfeindlich und richtete sich vor allem gegen Darwins Evolutionslehre, die sich in den amerikanischen Eliten großer Beliebtheit erfreute. Die tiefe Religiosität der Amerikaner aber stand, wie schon Tocqueville 1835 bemerkt hatte, der Liebe zur politischen Freiheit nicht nur nicht entgegen, sie gehörte sogar zu ihren historischen Vorbedingungen.
    Umgekehrt setzte die Entwicklung der Freiheit des Geistes offenkundig nicht politische Freiheit im Sinne der westlichen Demokratie voraus: Einige der großen Durchbrüche zur Moderne fanden in Staaten statt, die, gemessen an amerikanischen, britischen und französischen Maßstäben, halbautoritär zu nennen waren. Die Entdeckung des Unbewußten in Gestalt der Psychoanalyse gelang um die Jahrhundertwende Sigmund Freud in Wien; 1895 entdeckte der deutsche Physiker Wilhelm Conrad Röntgen in Würzburg die nach ihm benannten Strahlen; die allgemeine Relativitätstheorie entwickelte Albert Einstein zwischen 1914 und 1916 in Berlin. Von den ersten Nobelpreisen für Physik, Chemie und Physiologie beziehungsweise Medizin gingen zwischen 1901 und 1914 14 an deutsche, 10 an französische, 5 an britische, 4 an niederländische und je 3 an schwedische und an amerikanische Gelehrte. Deutschland galt vor dem Ersten Weltkrieg als die führende Wissenschaftsnation; seine Universitäten genossen quer durch alle Disziplinen höchstes internationales Ansehen. Die deutsche Forschungsuniversität wurde zum Exportartikel: Die 1876 gegründete Johns Hopkins University in Baltimore war die erste amerikanische Hochschule, die

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