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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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auf ihrem Pariser Kongreß die Bildung einer dauernden internationalen Kommission und eines besoldeten internationalen Sekretariats; die Zusammenkünfte der Delegierten fanden seit jenem Jahr unter dem Namen «Internationaler Sozialistenkongreß» statt. Wie die Erste Internationale, so wurde auch die Zweite seit ihrer Gründung von inneren Gegensätzen bedroht. Die marxistische Richtung war die stärkste; aber daneben gab es die Anarchisten, die vor allem in Spanien, Italien und den Niederlanden viele Anhänger hatten, die französischen Syndikalisten, die sich ganz auf den gewerkschaftlichen Kampf konzentrierten und den politischen geringschätzten, und die britischen Gewerkschaften, die vom Marxismus so gut wie gar nicht berührt waren und auf Reformen setzten.
    Die Gegensätze zwischen den Anarchisten und den übrigen Strömungen erwiesen sich als unüberbrückbar, so daß es auf dem Londoner Kongreß von 1896 zur Trennung der Mehrheit von der Minderheit kam: Die Delegierten beschlossen, nachdem die Anarchisten den Kongreß bereits verlassen hatten, mit allen Stimmen gegen die der französischen Syndikalisten, künftig nur noch Organisationen einzuladen, die «die Umwandlung der kapitalistischen Eigentums- und Produktionsordnung in die sozialistische Eigentums- und Produktionsordnung anstreben und die Teilnahme an der Gesetzgebung und die parlamentarische Tätigkeit als notwendiges Mittel zur Erreichung dieses Zweckes ansehen». Gewerkschaftsorganisationen waren nur dann zuzulassen, wenn sie die Notwendigkeit politischer und parlamentarischer Tätigkeit anerkannten. Die Anarchisten wurden von der weiteren Mitwirkung ausdrücklich ausgeschlossen.
    Innerhalb der Internationale gab es um diese Zeit eine Partei, die auf Grund ihres starken Rückhalts in der Wählerschaft, ihrer ideologischen Klarheit und organisatorischen Disziplin besonderes Ansehen genoß und der darum eine informelle Führungsrolle zufiel: Es war die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), die sich diesen Namen im Oktober 1891 auf ihrem Parteitag in Erfurt, ihrer ersten reichsweiten Zusammenkunft nach dem Außerkrafttreten des Sozialistengesetzes, gab. Das auf diesem Parteitag verabschiedete Erfurter Programm war in seinem grundsätzlichen Teil von Karl Kautsky, dem 1854 in Prag geborenen, seit seinem ersten Wiener Universitätssemester in der sozialistischen Bewegung tätigen Redakteur des theoretischen Parteiorgans «Neue Zeit», entworfen worden und fiel sehr viel «marxistischer» aus als das vorangegangene Gothaer Programm von 1875, das sich die Partei nach der Vereinigung der Anhänger von Marx und Engels mit den Lassalleanern gegeben hatte. Das Erfurter Programm, das rasch zu einer Art «Musterprogramm» der sozialdemokratischen Parteien avancierte, faßte in seinem allgemeinen Teil in knappen Worten zusammen, was Marx über die zwangsläufige Verdrängung des Kleinbetriebs durch den Großbetrieb, die Monopolisierung der Produktionsmittel in den Händen einiger weniger Großkapitalisten und Großgrundbesitzer, das Absinken der Mittelschichten ins Proletariat und die Zuspitzung des Klassenkampfes zwischen Bourgeoisie und Proletariat gelehrt hatte.
    Anders las sich der praktische Teil des Programms, den im wesentlichen Eduard Bernstein verfaßt hatte. Bernstein, 1850 als Sohn eines jüdischen Lokomotivführers in Berlin geboren, gelernter Bankangestellter, war während der Zeit des Sozialistengesetzes Redakteur des erst in Zürich, dann in London publizierten Wochenblattes «Sozialdemokrat» gewesen und in England stark durch die Reformvorstellungen der 1883/84 gegründeten Fabian Society um George Bernard Shaw und Sidney und Beatrice Webb beeinflußt worden. In ihren Gegenwartsforderungen präsentierte sich die SPD demnach eher als radikaldemokratische denn als sozialistische Partei. Die Sozialdemokraten verlangten unter anderem das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht für alle Wahlen und Abstimmungen, und zwar «ohne Unterschied des Geschlechts», eine direkte Volksgesetzgebung, eine «Volkswehr an Stelle der stehenden Heere», die Entscheidung über Krieg und Frieden durch die Volksvertretung, die weltliche Schule, die Erklärung der Religion zur Privatsache, die Abschaffung aller Gesetze, «welche die Frau in öffentlich- und privatrechtlicher Beziehung gegenüber dem Manne benachteiligen», die Abschaffung der Todesstrafe und die Sicherstellung des Koalitionsrechts.
    Ein Begriff, der im Denken von Marx und Engels eine große

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