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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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die bestehende Staats- und Gesellschaftsordnung bejahten: Liberale und Konservative, Unternehmer und Grundbesitzer, Bauern und Handwerker. Das Schutzverlangen der letzteren sollte durch eine (von Miquel befürwortete und von den Nationalliberalen unterstützte) Novelle zur Gewerbeordnung von 1897 befriedigt werden: Sie schuf Handwerkskammern als Körperschaften des öffentlichen Rechts und das Institut der «fakultativen Zwangsinnung»: Wenn sich in einem Handwerkskammerbezirk die Selbständigen eines bestimmten Handwerks in einer Abstimmung dafür aussprachen, wurde die Mitgliedschaft in der Innung obligatorisch.
    Schwieriger gestaltete sich der Versuch, die Interessen von Industrie und Landwirtschaft auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Mit Miquels Unterstützung wurde beim Reichsamt des Innern der Wirtschaftliche Ausschuß zur Vorbereitung handelspolitischer Maßnahmen, ein Beirat aus Vertretern landwirtschaftlicher und industrieller Organisationen, gebildet, der einen neuen Zolltarif für die Zeit nach dem Auslauf der Caprivischen Handelsverträge 1903/04 erarbeiten sollte. Daß die Schutzzöllner aus der ostelbischen Landwirtschaft und der Schwerindustrie in dem Gremium das Übergewicht hatten, lag in Miquels Absicht. Es war jedoch so stark, daß die Export- und Fertigwarenindustrien sich zu einer antiprotektionistischen Abwehrfront in Gestalt des im November 1900 gegründeten Handelsvertragsvereins zusammenschlossen. In zollpolitischer Hinsicht war die Sammlungspolitik damit zunächst einmal gescheitert: Schutzzölle waren nicht der gemeinsame Boden, auf dem die Gesamtheit von Industrie und Landwirtschaft sich treffen konnte.
    Um die Jahrhundertwende war das Mittel aber schon entdeckt, von dem man einen Ausgleich wirtschaftlicher Interessengegensätze erhoffen durfte: die Flottenpolitik. Der Schöpfer der deutschen Flotte, Konteradmiral Alfred von Tirpitz, der seit Juni 1897 an der Spitze des Reichsmarineamtes stand, war sich bewußt, daß er gute Erfolgsaussichten hatte, wenn er dem gebildeten und besitzenden Bürgertum den Gedanken einer Schlachtflotte nahezubringen versuchte. Die Erinnerung an die schmähliche Versteigerung der ersten, 1848 von der vorläufigen Zentralgewalt geschaffenen deutschen Flotte im Jahre 1852 wirkte noch immer nach, und seit damals gab es im Bürgertum die verbreitete Neigung, in einer deutschen Kriegsflotte den bewaffneten Arm der Handelsflotte und damit die «bürgerliche», vom «adligen» Heer sich unterscheidende Waffengattung zu sehen.
    Als Tirpitz an die Spitze des Reichsmarineamtes trat, galt noch der bescheidene Flottengründungsplan von 1873, der der Marine als wichtigste Aufgaben den Schutz des Seehandels und der Verteidigung der deutschen Künste zuschrieb. Ein längerfristiges Flottenprogramm verlangte auch längerfristige haushaltsrechtliche Festlegungen und damit eine Selbstbeschränkung des parlamentarischen Budgetbewilligungsrechts. Ein expansiver Flottenausbau bedeutete zudem die Schaffung offensiver Kapazitäten, was sich negativ auf die Beziehungen zu der führenden Seemacht England auszuwirken drohte. Aus solchen Erwägungen heraus hatte der Reichstag im März 1896 den vom Reichsmarineamt dringlich gewünschten Bau von drei zusätzlichen Kreuzern abgelehnt: eine politische Niederlage des Reichskanzlers Hohenlohe, die den unmittelbaren Anlaß zum Wechsel an der Spitze des Reichsmarineamts lieferte.
    Tirpitz war, ebenso wie Kaiser Wilhelm II. und der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Adolf Freiherr Marschall von Bieberstein, ein «Mahanist»: ein überzeugter Anhänger der Lehre des amerikanischen Seeoffiziers und Historikers Alfred Thayer Mahan, wonach nur führende Seemächte Weltgeltung erlangen konnten. (Mahans Buch «The Influence of Sea Power upon History» erschien 1896 in einer von der Redaktion der «Marine-Rundschau» besorgten deutschen Übersetzung). Staatssekretär von Marschall hatte bereits am 18. März 1896 in der Reichstagsdebatte über den Kreuzerbau die Devise des neuen Kapitels der deutschen Flottenpolitik ausgegeben: «Die Frage, ob Deutschland Weltpolitik treiben soll, hängt untrennbar zusammen mit der anderen, ob Deutschland Weltinteressen hat oder ob es keine hat. Diese Frage ist längst entschieden …».
    Weltpolitik treiben hieß mit England gleichziehen wollen, und dieses Ziel war ohne eine starke Flotte nicht zu erreichen. Die deutsche Flotte in den Größenordnungen, wie Tirpitz sie anstrebte, konnte also nur eine Flotte

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