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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Ambitionen aber keineswegs. Als das Reich im August 1890 Teile von Deutsch-Ostafrika samt dem Protektorat über die Insel Sansibar an England abtrat und dafür das seit 1814 britische Helgoland erhielt, gab das strategische Interesse am Ausbau der deutschen Stellung in der Nordsee den Ausschlag für den Gebietstausch. In den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts beschleunigte sich die maritime Expansion Deutschlands: 1897 erwarb das Reich das chinesische Kiautschou mit dem Hafen Tsingtau, 1898 kaufte es Spanien die Marianen und Karolinen im Pazifik ab, 1899 teilte es sich die Samoa-Inseln mit den Vereinigten Staaten. Jede einzelne Neuerwerbung war Teil eines größeren Ganzen: des deutschen Strebens nach einem weltweiten Netz von Flottenstützpunkten. Das Reichsmarineamt war dabei die treibende Kraft, erhielt aber vom Auswärtigen Amt volle Rückendeckung. Am 6. Dezember 1897 sprach der damalige preußische Außenminister und Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Bernhard von Bülow, im Reichstag das alsbald geflügelte Wort aus, das das Motto der wilhelminischen Weltpolitik wurde: Die Deutschen wollten niemanden in den Schatten stellen, verlangten aber auch ihren «Platz an der Sonne».
    Bismarck hatte in den achtziger Jahren seine Abneigung gegen Kolonialerwerb in einer Phase der ökonomischen Rezession zeitweilig aufgegeben. Kolonien mochten damals auch als Mittel erscheinen, um die Nation aus den Niederungen wirtschaftlicher Sorgen herauszuführen. Wilhelm II., Bülow und Tirpitz nahmen ihre weltumspannende Stützpunktpolitik in einer Zeit der Hochkonjunktur auf, die um 1895 eingesetzt hatte. Aus einem Gefühl wirtschaftlicher Stärke erhoben sie Forderungen, die auf eine dramatische Änderung der internationalen Kräfteverhältnisse abzielten.
    Die Lenker der deutschen Politik taten mit ihrer Außen- und Flottenpolitik nichts, was grundsätzlich vom Imperialismus anderer Großmächte wie Großbritannien oder Frankreich abwich. Der deutsche Griff nach Übersee war gleichwohl von anderer Qualität. Für Frankreich bedeutete der Ausbau seines Kolonialreiches auch eine Kompensation der Niederlage im Krieg von 1870/71 und des Machtverlustes, den sie zur Folge hatte. Das britische Empire stützte den englischen Anspruch, die führende Seemacht zu sein. Deutschland war bereits mit dem Sieg von 1871 ein halbhegemonialer Status auf dem europäischen Kontinent zugefallen. Als es sich nach Bismarcks Entlassung entschloß, Seemacht zu werden und Weltpolitik zu betreiben, gab es zu erkennen, daß es mit seiner kontinentalen Machtstellung nicht zufrieden war und von der «halben» zur «ganzen» Hegemonie aufsteigen wollte. Es lag auf der Hand, daß die davon betroffenen Großmächte sich gegen eine solche Schmälerung ihres weltpolitischen Gewichts auflehnen und entsprechend reagieren würden.
    Im deutsch-britischen Verhältnis schien sich im Herbst 1900, nach der gemeinsamen Niederwerfung des chinesischen «Boxeraufstands» durch die europäischen Großmächte, die Vereinigten Staaten und Japan, eine Wendung zum Besseren anzubahnen: Beide Mächte einigten sich auf das Prinzip des ungehinderten Handels auf allen Flüssen und an allen Küsten Chinas. An einem Bündnis, über das 1901 zwischen London und Berlin gesprochen wurde, waren aber beide Seiten nicht ernsthaft interessiert. Eine Bindung an Rußland in der Tradition von Bismarcks Politik der Rückversicherung kam ebenfalls nicht in Frage: Die 1893/94 abgeschlossene Militärkonvention zwischen Paris und St. Petersburg überdauerte die vorsichtige Wiederannäherung in der Regierungszeit Hohenlohe. Nach dem Abschluß des britisch-japanischen Bündnisses Anfang 1902 äußerte das Zarenreich Interesse an einem Abkommen mit Berlin, stieß aber dort auf taube Ohren: In der Wilhelmstraße ging man davon aus, daß Rußland sich lediglich für seine Expansionspläne im Fernen Osten Rückendeckung sichern wollte.
    Ein außenpolitischer Erfolg für Deutschland schien zunächst die Erneuerung des Dreibundvertrages mit Österreich-Ungarn und Italien im Juni 1902 zu sein. Doch nur fünf Monate später schloß Rom ein Geheimabkommen mit Paris, in dem sich beide Seiten für den Fall, daß eine von ihnen von einer dritten Macht angegriffen werden sollte, auf strikte Neutralität festlegten. Mit der Annäherung zwischen Italien und Frankreich begann die Aushöhlung des Dreibundes. Deutschland konnte fortan nur noch mit einem Bündnispartner rechnen, der aber auch über die Möglichkeit

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