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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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keinen Erfolg hatte, in das Lager der ungarischen Radikalnationalisten um, wo sie Unterstützung für ihre Forderung fand, das überwiegend kroatische Dalmatien mit dem Kronland zu vereinigen. Die verbliebenen Gegner des ungarischen Nationalismus taten sich ihrerseits mit den Vertretern der serbischen Minderheit im kroatischen Landtag zusammen und rückten damit zugleich dem Königreich Serbien nahe, wo 1903 Alexander I., der letzte König aus dem Haus Obrenovic, mitsamt der Königin Draga und deren Brüdern von Mitgliedern einer Offiziersverschwörung ermordet worden war. Unter König Peter I. Karadjordjevic und dem Ministerpräsidenten Nikola Pašic von der Radikalen Partei vollzog Serbien einen Kurswechsel: gegen Österreich, an die Seite Rußlands und Frankreichs. Die Frontstellung vom Jahr 1914 begann ihren Schatten vorauszuwerfen.[ 27 ]
    Der Fluch des Epigonentums: Das wilhelminische Deutschland 1890–1909
    Der mächtigste Verbündete des Habsburgerreiches war im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zur führenden Industrienation Europas aufgestiegen: Deutschland hatte mit seiner industriellen Produktion Großbritannien überholt; es stand in diesem Bereich weltweit nur den Vereinigten Staaten von Amerika nach, deren industrielle Produktion 1895 doppelt so hoch war wie die deutsche. 1882 verbuchte der Bereich Landwirtschaft im Deutschen Reich 41,6 Prozent aller Erwerbstätigen samt Angehörigen, während auf den Bereich Industrie und Handwerk 34,8 Prozent entfielen. 1895 hatten Industrie und Handwerk die Landwirtschaft bereits überflügelt: 38,5 zu 35,0 lautete jetzt das Verhältnis. Bis 1907 verschob es sich auf 42,2 zu 28,4 Prozent. Der Anteil von Handel und Verkehr wuchs zwischen 1882 und 1907 von 9,4 auf 12,8 Prozent.
    Bismarcks Nachfolger im Amt des Reichskanzlers und des preußischen Ministerpräsidenten, der General Graf Georg Leo von Caprivi, war sich bewußt, daß die Entwicklung vom Agrar- zum Industriestaat unumkehrbar war und Deutschlands Zukunft von der Steigerung seiner Ausfuhr abhing. «Wir müssen exportieren», erklärte er am 10. Dezember 1891 im Reichstag, «entweder wir exportieren Waren, oder wir exportieren Menschen. Mit dieser steigenden Bevölkerung ohne eine gleichzeitig zunehmende Industrie sind wir nicht in der Lage, weiterzuleben.» Die Handelsverträge der kurzen Ära Caprivi, erst 1891 mit Österreich-Ungarn, Italien, Belgien und der Schweiz, dann 1893/94 mit Spanien, Serbien, Rumänien und Rußland folgten dieser Einsicht: Deutschland förderte die Ausfuhr von Industrieprodukten, indem es seinerseits Zollbarrieren abbaute, darunter auch die für die ostelbische Landwirtschaft besonders wichtigen Getreidezölle.
    Der Widerspruch der preußischen und mecklenburgischen Rittergutsbesitzer ließ nicht lange auf sich warten. Sein organisatorischer Ausdruck war der 1893 gegründete Bund der Landwirte, der binnen kurzem zum einflußreichsten wirtschaftlichen Interessenverband aufsteigen sollte. Die Initiative ging von Großgrundbesitzern aus, aber von Anfang an zielte der neue Verband auf die Gewinnung aller Schichten, die sich von der fortschreitenden Industrialisierung bedroht fühlten und dieser Entwicklung entgegenstemmten, «Bauernstand» und «Mittelstand», das heißt Handwerker und Kleinhändler, im besonderen. Bei den Bauern war der Bund der Landwirte dabei sehr erfolgreich: Um die Jahrhundertwende stellten sie knapp neun Zehntel der über 200.000 Mitglieder.
    In den Führungsgremien aber gaben Großgrundbesitzer den Ton an, und sie scheuten sich nicht vor starken Worten. So forderte der schlesische Generalpächter Alfred Ruprecht-Ransern im Dezember 1892 in seinem Appell zur Verbandsgründung, «daß wir unter die Sozialdemokraten gehen und ernstlich gegen die Regierung Front machen … Wir müssen aufhören zu klagen, wir müssen schreien, daß es das ganze Land hört, wir müssen schreien, daß es bis in die Parlamentssäle und Ministerien dringt – wir müssen schreien, daß es bis an die Stufen des Thrones vernommen wird.» Die Sprache klang «populistisch», aber anders als das «populist movement» in den USA war der Bund der Landwirte kein Ausdruck eines authentischen Bauern- beziehungsweise Farmerprotests; die Bauern wurden in diesem Verband lediglich im Interesse einer privilegierten Herrenkaste instrumentalisiert. Von einer «Pseudodemokratisierung der Rittergutsklasse» hat in diesem Zusammenhang der Historiker Hans Rosenberg gesprochen.
    Es sollte einige Zeit

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