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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Als kurz darauf der Pariser Außenminister Delcassé, der antideutsch eingestellte Architekt der Verständigung mit England, zurücktrat, wähnte man sich in Berlin bereits als Sieger der (ersten) Marokkokrise.
    Doch nun trat England auf den Plan. Auf der internationalen Marokkokonferenz, die auf deutsches Drängen hin im Januar 1906 im spanischen Algeciras zusammentrat und bis zum 7. April dauerte, war das Deutsche Reich völlig isoliert. Großbritannien, Spanien und Italien, der Dreibundpartner Deutschlands, traten auf die Seite Frankreichs, und dasselbe taten die USA und Rußland, dem Deutschland sich kurz zuvor anzunähern begonnen hatte. Präsident Roosevelt übte in persönlichem Briefwechsel starken Druck auf Wilhelm II. aus und erreichte ein deutsches Einlenken. Das Scheriffat Marokko wurde zwar dem deutschen Wunsch entsprechend völkerrechtlich anerkannt, Frankreich aber sicherte sich, was viel wichtiger war, die Konzession, das Gebiet nach seinem Willen zu erschließen. Holstein, der eigentliche Urheber der deutschen Marokkopolitik, nahm seinen Abschied; der Kaiser war persönlich gedemütigt. Im Jahr darauf schlug sich die in Algeciras deutlich gewordene Annäherung zwischen London und St. Petersburg in der britisch-russischen Konvention vom August 1907 nieder, in der beide Mächte sich über ihre Interessengebiete in Vorder- und Mittelasien verständigten. Die britisch-französisch-russische «Tripelentente» war perfekt. Als England 1908 Deutschland eine Beschränkung der Flottenetats beider Länder vorschlug, wurde das Angebot, auf Veranlassung des Kaisers, schroff zurückgewiesen.
    Im Dezember 1906 zerbrach Bülows Regierungsmehrheit über einer kolonialen Streitfrage, der Niederwerfung des Aufstands erst der Hereros, dann der Namas vom Volk der Hottentotten in Deutsch-Südwestafrika, der einzigen Kolonie mit einer größeren Zahl deutscher Siedler (etwa 12.000 am Vorabend des Ersten Weltkrieges). Begonnen hatte die Erhebung als Reaktion auf betrügerische Geschäftspraktiken weißer Händler und brutales Verhalten der Siedler, vor allem aber auf großangelegte Pläne von Gouverneur Theodor Leutwein zur Landenteignung zugunsten deutscher Siedler im Januar 1904; auslösendes Moment war die Morddrohung eines Oberleutnants gegen den Oberhäuptling der Hereros, Samuel Maharero. Das Schicksal der Hereros wurde vom Oberbefehlshaber der Schutztruppe, Generalleutnant Lothar von Trotha, durch die Kesselschlacht am Waterberg im August 1904 besiegelt. Die überlebenden Hereros, Männer, Frauen und Kinder, wurden in die wasserarme Omaheke-Wüste getrieben, wo die meisten verdursteten oder verhungerten. Der Feind wurde, wie es im offiziellen Generalstabswerk heißt, «wie ein halb zu Tode gehetztes Wild … von Wasserstelle zu Wasserstelle gescheucht, bis es schließlich willenlos ein Opfer der Natur seines eigenen Landes wurde. Die wasserlose Omaheke sollte vollenden, was die deutschen Waffen begonnen hatten: die Vernichtung des Hererovolkes.»
    Nach der Ausschaltung der Hereros griffen die Nama oder Hottentotten unter Häuptling Hendrik Witbooi in die Kämpfe ein. Ihre Niederwerfung nahm sehr viel mehr Zeit in Anspruch; erst Ende März 1907, eineinhalb Jahre, nachdem Witbooi gefallen war, wurde der Kriegszustand in Deutsch-Südwestafrika aufgehoben. Die Strategie Trothas lief auf die vollständige physische Vernichtung der ausständigen Hereros und ihrer Angehörigen hinaus, und sie erreichte ihr Ziel wenn nicht ganz, so doch weitgehend. Von schätzungsweise 60.000 bis 80.000 Hereros zu Beginn des Aufstands lebten bei der Volkszählung von 1911 noch 15 130, also höchstens 25 Prozent. Von etwa 20.000 Angehörigen der Nama-Stämme lebte 1911 noch knapp die Hälfte. Die überlebenden wurden in entfernte Landesteile deportiert und zur Aufnahme von Lohnarbeit gezwungen; ihr Stammesland und ihr Stammesvermögen wurden nach dem Vorbild der französischen Sequestrationsordnung von 1845 für Algerien konfisziert und die Stammesordnung zerschlagen.
    Der Vernichtungsbefehl Trothas bezweckte nichts anderes als Völkermord. Kaiser Wilhelm II. änderte zwar den Befehl dahingehend ab, daß alle freiwillig sich stellenden Hereros bis auf die Anführer und «Mörder» am Leben bleiben sollten, und Reichskanzler von Bülow hob den sogenannten «Kettenbefehl» Trothas auf, wonach sich ergebende Hereros Arbeitsdienst an der Kette zu leisten hatten. Aber für viele Hereros kamen die Milderungen zu spät – zu einem Zeitpunkt, als

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