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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Unabhängigkeitskrieg gekämpft hatte: dem Marquis de Lafayette. Er ließ sich von den Grundrechtserklärungen der nordamerikanischen Einzelstaaten, vor allem von der Virginias, inspirieren und konnte sich bei der Ausarbeitung seines eigenen Entwurfs einer Menschenrechtserklärung der aktiven Mitarbeit Thomas Jeffersons erfreuen, der von 1785 bis 1789 Botschafter der Vereinigten Staaten in Paris war.
    Neben auffallenden Übereinstimmungen gab es jedoch auch Unterschiede zwischen den amerikanischen Menschenrechtserklärungen und der französischen. Der Text vom August 1789 betonte die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz schärfer als die Virginia Declaration of Rights und die Grundrechtskataloge anderer Einzelstaaten der Union. Mehr als diese war die Erklärung der französischen Nationalversammlung auf Genauigkeit und Allgemeingültigkeit angelegt. Die Menschen, so heißt es in Artikel I, sind von Geburt an frei und gleich an Rechten (Les hommes naissent et demeurent libres et égaux en droits). Soziale Unterschiede dürfen nur im allgemeinen Nutzen (sur l’utilité commune) begründet sein. Zu den natürlichen und unantastbaren Menschenrechten werden Freiheit, Sicherheit und Widerstand gegen Unterdrückung gerechnet (Artikel II). Das Gesetz ist gemäß Artikel VI Ausdruck des allgemeinen Willens (La loi est l’expression de la volonté générale). Alle Bürger sind berechtigt, persönlich oder durch ihre Vertreter an seiner Gestaltung mitzuwirken. Ob das Gesetz schützt oder straft: Es muß für alle gleich sein. «Da alle Bürger in seinen Augen gleich sind, haben sie auch gleichermaßen Zugang zu allen Würden, Stellungen oder öffentlichen Ämtern, je nach ihren Fähigkeiten, ohne einen anderen Unterschied als den ihrer Tugenden und Talente.»
    Was die Sicherung von Freiheit und Eigentum anging, wich die «Déclaration des droits de l’homme et du citoyen» auf weiten Strecken nicht ab von dem, was die nordamerikanischen Menschenrechtserklärungen dazu sagten. Doch es ist bemerkenswert, daß die Vereinigungs- und die Versammlungsfreiheit in dem Text fehlten und die Meinungs- und die Religionsfreiheit dadurch beschränkt wurden, daß ihre Ausübung nicht die durch das Gesetz festgelegte öffentliche Ordnung stören durfte (Artikel X). Von der staatsbürgerlichen Gleichberechtigung der Juden war in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte noch nicht die Rede: Diesen Akt der Emanzipation holte die Nationalversammlung am 27. September 1791 nach. Noch länger mußten die Sklaven in den französischen Kolonien warten, bis ihnen das revolutionäre Mutterland die Menschen- und Bürgerrechte zugestand: Dies geschah erst am 4. Februar 1794 durch den Nationalkonvent – zweieinhalb Jahre, nachdem im August 1791 in Haiti ein großer Sklavenaufstand gegen die weiße Oberschicht ausgebrochen war.
    Der Einfluß Montesquieus schlug sich vor allem in Artikel XVI nieder: «Jede Gesellschaft, in der die Garantie dieser Rechte nicht erfolgt und die Gewaltenteilung nicht festgeschrieben ist, hat keine Verfassung.» Rousseaus «Contrat social» folgte die Nationalversammlung, als sie das Gesetz zum Ausdruck des allgemeinen Willens erklärte. Auffallend war, daß die «Déclaration» nicht von Volkssouveränität, sondern von der Souveränität der Nation sprach. «Die Nation bildet den hauptsächlichen Ursprung jeder Souveränität (le principe de toute souverainité réside essentiellement dans la Nation). Keine Körperschaft und kein Individuum können eine Gewalt ausüben, die nicht ausdrücklich von der Nation ausgeht» (Artikel III).
    Als die maßgebliche Stimme der Nation betrachtete die Mehrheit der Delegierten, obwohl das so nicht im Text der Menschenrechtserklärungen stand, die Nationalversammlung, die ihre Entscheidung einem Beschluß der Delegierten des Dritten Standes in den Generalständen vom 17. Juni 1789 verdankte. Über der Nationalversammlung stand nur noch das «Höchste Wesen». In seiner Gegenwart und unter seinem Schutz (en présence et sous les auspices du Suprême être) hatte die Assemblée Nationale der Präambel zufolge die Menschen- und Bürgerrechte beschlossen: eine Formel, die vom Geist des aufgeklärten Deismus geprägt war, in der sich aber auch aufgeklärte Christen wiedererkennen konnten.[ 4 ]
    Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte ging im Sinne Rousseaus von der Annahme aus, daß der souveräne Träger des allgemeinen Willens ein homogenes Kollektivsubjekt war. Als solches

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