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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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wollte. Beide mußten aber auch der Uneinigkeit in ihrer eigenen, der Liberalen Partei Rechnung tragen, in der es «Radicals» und «Whigs», «Pazifisten» und Bellizisten» gab: Die einen neigten im Zweifelsfall der Zusammenarbeit mit der Labour Party zu, die anderen standen in außenpolitischer Hinsicht eher den Tories nahe.
    Asquith und Grey sahen sich also zu einer «Politik der Diagonale» genötigt – ein Begriff, mit dem Theobald von Bethmann Hollweg rückblickend seine Innenpolitik zu charakterisieren versuchte. Die aktuelle innere Situation Großbritanniens engte den Spielraum des Kabinetts weiter ein: Der Konflikt um Ulster hatte sich im Sommer weiter zugespitzt und die Gefahr eines irischen Bürgerkriegs heraufbeschworen; die «Meuterei von Curragh» vom März war in frischer Erinnerung. Anders als die Reichsleitung in Berlin stand die Londoner Regierung aber weder unter dem Druck eines kriegswilligen Militärs noch hatte sie es mit einer breiten politisch-publizistischen «Kriegspartei» zu tun. Aus alledem ergab sich der vorsichtig taktierende Charakter der britischen Politik in den Wochen nach Sarajewo. Gewiß sprach viel für die demonstrative Mobilisierung der britischen Flotte, wofür Sir Eyre Crowe, der dritte Mann des Foreign Office, und sein unmittelbarer Vorgesetzter, Unterstaatssekretär Sir Arthur Nicolson, plädierten. Aber hätte es in Berlin Ohren gegeben, die hören wollten, wären die Warnungen Greys deutlich genug gewesen.
    In dem Krieg, den Deutschland mit seiner Risikopolitik auslöste, konnte England nicht neutral bleiben. Es handelte entsprechend jener Beurteilung der Interessen Großbritanniens und seines Empire, die Crowe am 25. Juli in unübertrefflicher Prägnanz zu Papier brachte: «Sollte der Krieg ausbrechen und England unbeteiligt bleiben, dann muß sich folgendes ergeben: a) Entweder siegen Deutschland und Österreich, sie erdrücken Frankreich und demütigen Rußland. Die französische Flotte verschwunden, Deutschland im Besitz des Kanals: Wie wird dann die Lage eines freundlosen England sein? b) Oder Frankreich und Rußland siegen. Wie werden sie sich dann gegen England verhalten? Und wie wird’s dann mit Indien und dem Mittelmeer stehen? In diesem Kampf, der nicht um den Besitz Serbiens geht, sondern bei dem es sich um das Ziel Deutschlands, seine politische Vorherrschaft in Europa zu errichten, und um den Wunsch der Mächte handelt, ihre individuelle Freiheit zu erhalten – in diesem Kampf sind unsere Interessen mit denen Frankreichs und Rußlands verknüpft.»
    Der Assistant Undersecretary des Foreign Office traf den Kern der Sache: Die tiefere Kriegsursache war der Wunsch Deutschlands, seine politische Vorherrschaft in Europa zu errichten und von der Großmacht zur Weltmacht aufzusteigen. Die innere Krise des Kaiserreiches, verstärkt spürbar seit dem großen Wahlerfolg der Sozialdemokraten Anfang 1912, und der Rüstungswettlauf hatten eine Art Torschlußpanik erzeugt, die Berlin auf das Attentat von Sarajewo so reagieren ließen, wie es dies tat. In Österreich-Ungarn lagen die Dinge ähnlich. Die Auflösung des Reichsrats im März 1914 hatte die innere Krise verschärft: Die Ermordung des Thronfolgers fiel in eine Zeit gesteigerter Angst vor dem Zusammenbruch des Vielvölkerreiches. Auch in Rußland kamen innere und äußere Krise zusammen: Seit dem Frühjahr wurde das Zarenreich von schweren Streikwellen erschüttert, die im Sommer 1914 einen neuen Höhepunkt erreichten. Von den drei Großmächten, die am meisten zur Verschärfung der Julikrise beitrugen, reagierten zwei, Österreich-Ungarn und Rußland, autoritär auf die innere Krise. Deutschland bewies das größte Geschick im Umgang mit dem inneren Gegner, der Sozialdemokratie. Das Hohenzollernreich war zwar noch längst keine Demokratie, aber, was sein politisches System betraf, den westlichen Demokratien mittlerweile sehr viel näher als das Habsburgerreich, vom Reich der Romanows ganz zu schweigen.
    Der Erste Weltkrieg war, als er begann, kein Krieg zwischen demokratischen Staaten und autoritären Regimen. Er konnte es nicht sein, solange England und Frankreich mit dem autoritären Rußland verbündet waren. Den Charakter eines innerwestlichen Kampfes zwischen Demokratie und Autoritarismus gewann der Krieg erst 1917, nachdem Amerika sich auf die Seite Englands und Frankreichs gestellt und in Rußland im Gefolge der Februarrevolution das Zarenregime gestürzt worden war.
    Die europäischen Mächte sind

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