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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Karl Kautsky Lenins These vom «imperialistischen Krieg» relativiert, bevor dieser sie formulierte. Österreichs Konflikt mit Serbien, schrieb Kautsky, sei «nicht ausschließlich imperialistischen Tendenzen» entsprungen. «In Osteuropa spielt der Nationalismus noch eine Rolle als revolutionäre Triebkraft, und der jetzige Konflikt zwischen Österreich und Serbien hat ebenso eine nationalistische wie eine imperialistische Wurzel. Österreich versuchte imperialistische Politik zu treiben, es annektierte Bosnien und machte Miene, Albanien in seine Einflußsphäre einzubeziehen. Dadurch erweckte es den nationalistischen Widerstand Serbiens, das sich von Österreich bedroht fühlte und nun seinerseits eine Gefahr für den Bestand Österreichs wurde.»
    Der Weltkrieg war nach Kautskys Überzeugung nicht dadurch herbeigeführt worden, «daß der Imperialismus eine Notwendigkeit für Österreich war, sondern dadurch, daß es wegen seiner Struktur durch seinen Imperialismus sich selbst gefährdet hat. Imperialismus konnte nur ein Staat treiben, der innerlich fest geschlossen war und sich agrarische Gebiete angliederte, die kulturell weit unter ihm standen. Hier wollte aber ein national zerklüfteter, halb slawischer Staat Imperialismus treiben auf Kosten eines slawischen Nachbarn, dessen Kultur der Kultur der benachbarten Teile des Gegners ebenbürtig ist.»
    Diese Politik konnte freilich, so schloß Kautsky seine Überlegungen ab, «so ungeheure Folgen nur hervorrufen durch die Gegensätze und Verstimmungen, die der Imperialismus zwischen anderen Großmächten geschaffen hat. Noch sind nicht alle Konsequenzen zutage getreten, die der jetzige Weltkrieg in seinem Schoße birgt. Er kann noch dazu führen, daß die imperialistischen Tendenzen und das Wettrüsten sich zunächst verschärfen – dann wäre der Friede, der ihm folgt, nur ein kurzer Waffenstillstand. Rein ökonomisch betrachtet, hindert jedoch nichts mehr, daß diese gewaltige Entladung schließlich den Imperialismus ablöst durch eine heilige Allianz der Imperialisten. Je länger der Krieg dauert, je mehr er alle Beteiligten erschöpft und vor einer baldigen Wiederholung des Waffenganges zurückschaudern läßt, desto näher rücken wir der letzten Lösung, so unwahrscheinlich sie jetzt noch scheinen mag.»
    Beide der von Kautsky skizzierten möglichen Entwicklungen sind Wirklichkeit geworden: die erste, antagonistische, nach dem Ersten, die zweite, kooperative oder, wie Kautsky formulierte, «ultraimperialistische», nach dem Zweiten Weltkrieg. Kautskys Imperialismusbegriff war sehr viel differenzierter als der Lenins, aber noch nicht präzise genug. Die Balkanpolitik Österreich-Ungarns und Rußlands war traditionelle Großmachtpolitik, wie sie schon lange vor der Hochzeit des Imperialismus betrieben wurde. Imperialistisch war die unaufhörliche Machtsteigerung durch Ausbeutung fremder, weniger entwickelter Gebiete, gleichviel ob diese annektiert, in Kolonien verwandelt oder auf andere Weise von der Metropole abhängig gemacht wurden. Von diesem Streben war die deutsche Flottenpolitik geleitet, die den deutsch-britischen Gegensatz erzeugte und wesentlich zum Rüstungswettlauf vor 1914 beitrug. Der Erste Weltkrieg hatte also seine imperialistische Seite. Seine unmittelbare Ursache aber war ein konventioneller Konflikt: der Gegensatz der beiden Großmächte Österreich-Ungarn und Rußland. Er trat in eine neue, seine entscheidende Phase, als das von Rußland protegierte Serbien die Donaumonarchie mit seiner nationalistischen Irredentapolitik herausforderte.
    In der Förderung des großserbischen Nationalismus lag Rußlands Beitrag zur Auslösung des Ersten Weltkrieges, seine Kriegsschuld. Die Tatsache, daß Rußland als erste Großmacht die Generalmobilmachung anordnete, fällt dagegen weniger ins Gewicht: Das Zarenreich benötigte für die Mobilisierung seiner Truppen sehr viel mehr Zeit als die Mittelmächte. Nach der österreichischen Kriegserklärung an Serbien war es in Zugzwang geraten, und in dieser Situation gewann der Generalstab immer mehr die Oberhand über den Ministerrat. Die nationalistische Presse tat das ihre, um die Stimmung gegen die Donaumonarchie anzuheizen.
    Das Wiener Nein zur serbischen Antwort auf das österreichische Ultimatum war eine Verzweiflungstat, geboren aus der Angst, der Vielvölkerstaat werde sich auflösen, wenn er nicht gegenüber Serbien ein Exempel statuiere. Die Angst vor dem Untergang war nicht grundlos. Es gab eine

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