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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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selbstgestellte Frage, was eine Verfassung sei, gab Paine im zweiten Teil seiner Streitschrift eine scharf zugespitzte Antwort. «Eine Konstitution ist nicht die Tat einer Regierung, sondern die eines Volkes, das eine Regierung konstituiert, und Regierung ohne Konstitution ist Macht ohne Recht». (A constitution is not the act of a government, but a people constituting a government; and government without a constitution is power without a right.) Daraus ergebe sich, daß eine Nation das Recht habe, eine Konstitution zu errichten. «Alle erbliche Regierung über ein Volk ist für dieses eine Art Sklaverei, Repräsentativregierung bedeutet Freiheit … Die Rechte der Menschen sind die Rechte aller Generationen und können von keiner monopolisiert werden … Die Revolutionen haben also eine Veränderung des moralischen Zustandes der Regierung zum Zweck; mit dieser Veränderung vermindern sich die Lasten der öffentlichen Abgaben, und die Zivilisation kommt in den Genuß des Überflusses, dessen sie jetzt beraubt ist.»[ 23 ]
    Das Echo auf Paines Schrift über die Rechte des Menschen war noch stärker als das auf Burkes «Betrachtungen über die Revolution in Frankreich». Kurz nach der englischen Ausgabe erschienen eine amerikanische Ausgabe sowie mehrere Übersetzungen, darunter eine französische und eine deutsche. Der Erfolg des Bandes sprach für die Überzeugungs- und Anziehungskraft der Idee angeborener und unveräußerlicher Menschenrechte, obenan des Rechts auf politische Selbstbestimmung und damit auf eine Repräsentativverfassung. Burkes historische Herleitung politischer Freiheiten fand eine Stütze in den englischen Erfahrungen; verallgemeinern ließ sie sich nicht. Doch Paine war auf seine Weise nicht weniger einseitig als sein konservativer Landsmann. Einen Mißbrauch von Macht hielt der radikale Brite nur in einem monarchischen oder aristokratischen Staat für möglich (und dort sogar für wesensnotwendig); eine Mischverfassung lehnte er ausdrücklich ab, weil sich in einem solchen System niemand zur Verantwortung ziehen lasse und alles durch Bestechung geregelt werde. Damit fiel Paine weit zurück hinter die Einsichten der amerikanischen Verfassungsväter, die aus nüchterner Einsicht in die Natur des Menschen wie aus historischer Erfahrung das englische Prinzip der «checks and balances» zu ihrem eigenen gemacht hatten.
    Daß nicht nur eine monarchische, sondern auch eine revolutionäre Regierung die Freiheit der Bürger mißachten und verletzen konnte, sollte Paine am eigenen Leib erfahren. 1792 verließ er sein Mutterland, wo seine Schrift über die Rechte des Menschen unterdrückt wurde und er selbst mit einer Verhaftung wegen Hochverrats rechnen mußte, und ging nach Frankreich. Dort wurde er, nachdem er die französische Staatsbürgerschaft erworben hatte, im Departement Pas-de-Calais zum Mitglied des Nationalkonvents gewählt. Er schloß sich den Girondisten an und stimmte für die Verurteilung, aber gegen die Hinrichtung Ludwigs XVI. 1793, nach dem Übergang zur jakobinischen Terreur, wurde er kurz nach dem Abschluß des ersten Bandes seines Werkes über das «Zeitalter der Revolution» verhaftet, auf Grund einer Intervention des Gesandten der Vereinigten Staaten, James Monroe, aber im November 1794 wieder entlassen.
    In der Folgezeit widmete er sich einem Buch über das «Zeitalter der Vernunft», in dem er das bibelgläubige Christentum von Grund auf in Frage stellte und sich zu einer deistischen und republikanischen Religion bekannte. 1802 kehrte er auf Einladung von Thomas Jefferson, der im Jahr zuvor zum Präsidenten der USA gewählt worden war und zu den leidenschaftlichen Verteidigern der Französischen Revolution gehörte, nach Amerika zurück. Die persönlichen Angriffe, die er im Oktober 1796, anläßlich der Abschiedsbotschaft von George Washington, gegen den ersten Präsidenten der Vereinigten Staaten gerichtet hatte, und seine radikale, als atheistisch wahrgenommene Religionskritik machten Paine indes in Amerika nicht nur zu einer umstrittenen, sondern zu einer weithin verfemten Figur. Den «Federalists» wie John Adams, einem scharfen Kritiker der Französischen Revolution, war er seit langem zutiefst verhaßt; frühere Freunde wandten sich von ihm ab. Am 8. Juni 1806 starb Paine im Alter von 72 Jahren, verarmt und isoliert, auf seiner Farm in New Rochelle. Seinen konservativen Widersacher Edmund Burke hatte er um zwölf Jahre überlebt.[ 24 ]
    Radikalisierung (II): Die Revolution

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