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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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nachdem der Aufstand in der Vendée begonnen hatte, bereiteten die Österreicher der französischen Nordarmee bei Neerwinden eine schwere Niederlage, in deren Folge diese ganz Belgien räumen mußten. Der besiegte General und ehemalige Kriegsminister Dumouriez, ein enger Freund Brissots, versuchte daraufhin, seine Truppen zu einem Marsch auf Paris zu bewegen, wo sie die Herrschaft des Konvents beenden und die Monarchie wiederherstellen sollten. Als die Soldaten sich diesem Ansinnen verweigerten, lief Dumouriez zu den Österreichern über: ein Fall von Verrat, für den die Jakobiner sofort Brissot und die Gironde insgesamt verantwortlich machten. Marat, der Vorsitzende des Jakobinerklubs, ging noch weiter und rief die Franzosen auf, sich gegen die «Konterrevolution» zu erheben.
    Die Anhänger Brissots antworteten mit dem Antrag, der Konvent möge die Immunität des Abgeordneten Marat aufheben und ihn vor das im März gebildete Revolutionstribunal stellen. Der Antrag fand zwar eine Mehrheit, das Tribunal aber sprach Marat frei. Das Urteil bedeutete für die Girondisten die Niederlage, von der sie sich nicht mehr erholen sollten. Am 6. April 1793 wurde der «Wohlfahrtsausschuß», das Comité du Salut public, gebildet und Danton für die Dauer von drei Monaten an seine Spitze berufen. Die Hauptaufgabe des Ausschusses bestand darin, alle zur Rechenschaft zu ziehen, die sich am Verrat von Dumouriez beteiligt hatten. Am 29. Mai erhoben sich die radikaleren der Pariser Sektionen gegen die Gironde. Noch weigerte sich der Konvent, die wichtigste Forderung der Sansculotten, die Verhaftung der führenden Girondisten, zu erfüllen. Drei Tage später, am 2. Juni, war es dann soweit: Die Parlamentsmehrheit kapitulierte vor den bewaffneten Sansculotten und stimmte der Verhaftung von 29 girondistischen Abgeordneten, unter ihnen Brissot, zu.
    Der Historiker Albert Mathiez, ein Sozialist und Sympathisant der Jakobiner und namentlich Robespierres, bewertet den 2. Juni 1793 als eine neue Revolution: die dritte, wenn man den Sommer 1789 als die erste und die Verhaftung des Königs am 10. August 1792 als die zweite Revolution versteht. Was mit dem Sturz der Gironde und der Machtübernahme der Montagne endete, war Mathiez zufolge eine Klassenherrschaft im Dienst der Bourgeoisie. «Der 2. Juni war folglich mehr als eine politische Revolution. Was die Sansculottes zu Fall brachten, war nicht eine Partei, sondern bis zu einem gewissen Punkt eine Klasse … Die Klassenpolitik, die die Urheber des 2. Juni ihrerseits einführten, vertrug sich schlecht mit dem Rahmen der bisherigen Legalität. Die Funktion des Parlamentarismus war erschüttert. Die Zeiten der Diktatur waren nahe.»
    Die Gironde hatte einen äußeren Krieg entfesselt, den sie nicht energisch zu führen verstand. Sie hatte die Kirche bekämpft, war aber nicht in der Lage, aus eigener Kraft mit dem Widerstand der Gläubigen fertig zu werden, den sie mit ihrem Antiklerikalismus herausforderte. Sie bekannte sich zur Freiheit des Marktes, erwies sich aber als unfähig, mit den sozialen Folgen des Wettbewerbs, den Massenprotesten gegen die steigenden Lebensmittelpreise, umzugehen. Als der Konvent gegen den heftigen Widerspruch der Girondisten am 11. April 1793 einen Zwangskurs für die Assignaten und drei Wochen später, am 4. Mai, Höchstpreise für Getreide und Mehl, das sogenannte «Kleine Maximum», beschloß, waren das bereits Zeichen für den rückläufigen Einfluß der Gemäßigten. Die Verhaftung von 29 ihrer Parlamentarier vollendete den Niedergang der Gironde.
    Für den Übergang zur Herrschaft der Bergpartei war die Aktion der Sansculottes ausschlaggebend. Aber die Sansculotten waren nicht die Montagne. Sie vermochten wirkungsvoll Druck auszuüben und den Gang der Ereignisse entscheidend zu beeinflussen. Doch sie waren nicht in der Lage, selbst zu regieren. Die Montagnards waren stark, solange sie die Massen des Pariser Kleinbürgertums hinter sich hatten. Diese Massen neigten, wie die Septembermorde von 1792 gezeigt hatten, zu blutigen Gewalttaten. Um eine Wiederholung solcher Ereignisse zu verhindern, nahmen die entschiedenen Jakobiner den Terror in ihre eigene Regie. In den Worten von Danton: «Seien wir schrecklich, damit das Volk es nicht zu sein braucht. Das ist ein Gebot der Humanität.»
    Paris war aber nicht Frankreich. Bereits am 29. Mai hatten sich die «Föderalisten», die Anhänger der Gironde, in Lyon erhoben. Nach der Verhaftung der 29 girondistischen

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