Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)
allgemein beliebter General, der die Kunst versteht, den Soldaten zu fesseln, und den wahren Geist einer militärischen Befähigung besitzt, es dahin bringen wird, aller Augen auf sich allein zu richten. Diesem werden die Armeen aus persönlicher Ergebenheit gehorchen. Keine andere Art von Gehorsam ist in dieser Lage der Sachen vom Soldaten zu erwarten. Von dem Augenblick aber, da dies geschehen wird, muß der Mann, der die Armee wirklich kommandiert, auch Meister aller übrigen werden: er muß Herr (so wenig dies auch sagen will) des Königs, Herr der gesetzgebenden Versammlung, Herr der ganzen Republik sein.»
Die Nationalversammlung war auf die Armee in hohem Maß angewiesen. Gerade weil diese Versammlung von Theoretikern keine wirklich repräsentative Vertretung des Landes war, bedurfte sie des bewaffneten Armes, um Bürgern und Bauern, wenn sie sich gegen die Autorität der gesetzgebenden Körperschaft auflehnten, wirksam entgegentreten zu können. «Die letzte Zuflucht der Könige ist allemal die erste der Nationalversammlung. Diese militärische Hilfe wird ihre Zeit hindurch vorhalten, solange der Eindruck, den der vermehrte Sold gemacht hat, und die Eitelkeit, Schiedsrichter in allen Streitigkeiten zu sein, noch auf die Armee wirkt. Aber ehe man es sich versieht, wird dies Gewehr umschlagen und treulos die Hand verwunden, welche sich seiner bediente.»[ 20 ]
Burkes Streitschrift, der literarischen Form nach ein langer Brief an einen französischen Freund, enthielt scharfsinnige Vorhersagen, kluge Beobachtungen und krasse Fehlurteile. Wer seine «Betrachtungen über die Revolution in Frankreich» aufmerksam gelesen hatte, konnte weder über den jakobinischen Terror zur Zeit des Wohlfahrtsausschusses noch über den Aufstieg des politischen Generals Napoleon Bonaparte zum Ersten Konsul überrascht sein. Der Versuch, die Natur des Menschen einer doktrinären Theorie zu unterwerfen, war zum Scheitern verurteilt, die Absage an alle bisherige Staatsweisheit konnte nur in ein Schreckensregime führen.
Der englische Weg, die fortschreitende Verbesserung des schon Erreichten, hatte dem Lande politische Verhältnisse beschert, um die es von den meisten aufgeklärten Nationen beneidet wurde. Aber Burkes Heimatland war dank seiner Insellage in einer privilegierten Lage, über die sich der wortgewaltige Verteidiger der Privilegien von König, Oberhaus und Unterhaus keine Rechenschaft ablegte. Ein starker, auf Militär und Beamtentum gestützter, «absoluter» Staat hatte sich in England, anders als auf dem Festland, nicht dauerhaft durchsetzen können. Die französischen Parlamente waren im Gegensatz zum britischen keine Vorkämpfer der Freiheit, sondern hatten sich als Feinde überfälliger Neuerungen hervorgetan. Der französische Adel war ungleich weniger lernwillig als der englische, der König von Frankreich zu keiner Zeit bereit, sich mit der Rolle eines «King in Parliament» zu begnügen.
Darum stand Frankreich, anders als Burke es unterstellte, der englische Weg, der ja auch nicht immer ein friedlicher gewesen war, nicht offen. Wo es keine vertraglich verbrieften Freiheitsrechte gab, konnte die Freiheit auch nicht organisch weiterentwickelt, sondern nur im Kampf gegen die vorhandenen Einrichtungen durchgesetzt werden. Die Berufung auf die Geschichte half hier nicht weiter; es kam darauf an, den Rechten, die der Mensch von Natur aus besaß, Geltung zu verschaffen.
Die schärfste Antwort erhielt Burke von einem Landsmann, der sich 1774 nach Nordamerika begeben hatte, dort mit seiner Anfang 1776 veröffentlichten Schrift «Common Sense» zum wichtigsten publizistischen Vorkämpfer der Unabhängigkeitserklärung geworden und 1787 nach England zurückgekehrt war: Thomas Paine. Im Februar 1791, ein Vierteljahr nach dem Erscheinen von Burkes «Reflections», legte Paine den ersten Teil seiner Abhandlung «Rights of Man» vor (der zweite Teil folgte im Jahr darauf). «Ich streite für das Recht der Lebenden … Herr Burke streitet hingegen für die Macht der Toten über die Rechte und die Freiheit der Lebenden»: Mit dieser schroffen Gegenüberstellung erhob der begnadete Polemiker Paine seine Auseinandersetzung mit Burkes Apologie des britischen Regierungssystems in den Rang eines Streits um Grundfragen der politischen Ordnung. Entsprechend deutlich war seine Hauptthese: Eine Konstitution sei etwas, was der Regierung vorhergehe; die Regierung sei nur ein Geschöpf der Konstitution. «Die Konstitution eines Landes
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