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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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fühlte, lag das nicht nur und wohl nicht einmal vorrangig an der Einschüchterung durch den Terror. Die Bedrohung durch die Heere der Verbündeten war eine Realität, und einen Sieg der Gegenrevolution wünschte sich nur eine Minderheit. Der Konvent tat vieles, was ihm bei der Masse der Bauern und bei den städtischen Unterschichten eine gewisse Popularität verschaffte: Vermögende Bürger mußten eine Zwangsanleihe zeichnen; die beschlagnahmten Güter der Emigranten wurden in Parzellen zerlegt und verkauft, die letzten, 1789 noch nicht beseitigten Feudalrechte entschädigungslos abgeschafft; das «Große Maximum» vom 22. September 1793 setzte Höchstpreise für wichtige Lebensmittel und Konsumgüter fest. Im Februar 1794 folgten auf Vorschlag von Saint-Just die Ventôse-Dekrete, die es dem Konvent erlaubten, das Eigentum der schuldig gesprochenen «Verdächtigen» zu beschlagnahmen und an die Armen zu verteilen.
    Umgesetzt wurde diese «sozialistisch» anmutende Maßnahme freilich kaum noch: Auch in den Reihen der Jakobiner gab es schwere Bedenken gegen diesen massiven Eingriff in das Privateigentum, und es spricht vieles für die Annahme, daß diese Vorbehalte und Befürchtungen mit zum Sturz von Robespierre, Saint-Just und ihrer engsten Verbündeten beitrugen. Die Ventôse-Dekrete entsprachen dem, was die «Cordeliers» um Hébert verlangt hatten. Nachdem Hébert und die «Hébertisten» guillotiniert worden waren, fehlte dem Druck der «Straße» die handlungsfähige Führung.
    Eine soziale Wirkung der Konventsherrschaft steht außer Frage: Auch ärmere Bauern konnten jetzt in bescheidenem Umfang beschlagnahmtes Land erwerben, das zuvor Emigranten gehört hatte. Der kleine Parzellenbesitz prägte die französische Landwirtschaft und, da diese noch lange den größten Teil der erwerbstätigen Bevölkerung stellte, die gesamte französische Gesellschaft bis ins 20. Jahrhundert. Die Folgen waren paradox: Eine revolutionäre Errungenschaft, die Beseitigung und Zerschlagung des feudalen Großgrundbesitzes, wurde zu einem Unterpfand der Bewahrung vorindustrieller Strukturen und vorindustrieller Mentalitäten, hatte also konservative Wirkungen.
    Die Gesellschaftspolitik der Jakobiner wurde flankiert von sorgfältig geplanten Aktivitäten auf dem Gebiet der symbolischen Politik: Am 5. Oktober 1793 führte der Konvent einen republikanischen Kalender ein. Die neue Zeitrechnung begann mit dem Tag nach der Proklamation der französischen Republik: Aus dem 22. September 1792 wurde rückwirkend der 1. Vendémiaire des Jahres I. Die neuen Monatsnamen trugen «natürlich» wirkende, auf die Jahreszeit anspielende Namen. Der Vendémiaire etwa nahm Bezug auf die Weinernte (vendange), der folgende Monat, der Brumaire auf dichten Nebel (brume). Der Ventôse, der Wintermonat, fiel zum größeren Teil in den März, der Thermidor, der Wärmemonat, zu zwei Dritteln in den August. Die zwölf Monate des Revolutionskalenders hatten dreißig Tage und gliederten sich in drei Dekaden von jeweils zehn Tagen, was die höchst unpopuläre und weithin ignorierte Abschaffung des christlichen Sonntags in sich schloß. Die fehlenden fünf (in Schaltjahren sechs) Tage wurden als «Sans-cullotides» dem letzten Monat, dem Fructidor (Fruchtmonat), angefügt, fielen also in die bisherige dritte Septemberwoche.
    Der Bruch mit der vorangegangenen Geschichte war von hoher Symbolkraft: Das revolutionäre Frankreich bekundete vor aller Welt, daß es in einer anderen Zeit lebte als Völker, die sich noch immer von Monarchen, Klerus und Adel unterdrücken ließen. Der republikanische Kalender war zugleich ein bewußt provozierendes Stück Religionspolitik: Die Jakobiner erklärten den Übergang von der Monarchie zur Republik in Frankreich für eine tiefere historische Zäsur als die Geburt von Jesus, mit der das übrige Europa und der von Europa geprägte Teil der Welt eine neue Zeit beginnen ließen.
    Über die richtige Antwort auf das Christentum waren die Jakobiner lange nicht einig. Es gab radikale Atheisten wie Hébert, die jede Art von Religion ablehnten, Verfechter religiöser Toleranz wie Danton und Anhänger einer neuen, entschiedenen antichristlichen Vernunftreligion wie Pierre-Gaspard Chaumette. Der letztere war maßgeblich beteiligt an jenem von der Stadt Paris veranstalteten Fest der Vernunft, das am 10. November 1793 erst in der Kathedrale Notre Dame und dann im Konvent zelebriert wurde: Eine schöne junge Schauspielerin, die rote

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