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Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Jakobinermütze auf dem Kopf, stellte die Göttin der Vernunft dar. Auf Vorschlag von Chaumette beschloß der Konvent noch am gleichen Tag, die ehemalige Hauptkirche von Paris zum Tempel der Vernunft zu machen.
    Der überzeugte Deist Robespierre war ein entschiedener Gegner sowohl der gezielten Dechristianisierung wie, erst recht, des Atheismus. Worauf es ihm ankam, war die Durchsetzung einer «religion civile», wie Rousseau sie gepredigt hatte. Was immer die Menschen privat glauben mochten, entscheidend war für den «Unbestechlichen», daß es einen für alle verbindlichen Glauben an das höchste Wesen gab. Nur durch eine solche Zivilreligion konnte nach seiner Überzeugung die Liebe zur Freiheit, zur Republik, zum Vaterland in der Seele des Volkes dauerhaft verankert werden. Am 7. Mai 1794, dem 18. Floréal des Jahres II, legte Robespierre dem Wohlfahrtsausschuß ein Dekret vor, das dieser sogleich annahm. Darin hieß es, das französische Volk erkenne die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit der Seele an. «Es erkennt, daß die des Höchsten Wesens würdige Art des Kultus in der Erfüllung der Pflichten des Menschen besteht.»
    Das von Robespierre angeregte Fest zu Ehren des Höchsten Wesens fand am 20. Prairial des Jahres II (nach dem alten Kalender war es Pfingstmontag, der 8. Juni 1794) in den Tuileriengärten statt. Mit der Ausgestaltung der Feierlichkeiten hatte der Konvent den Maler Jacques-Louis David beauftragt. Über allen Balkonen hing die Trikolore, die blau-weiß-rote Fahne der Republik. Robespierre hielt eine predigtähnliche Ansprache, ließ sich von David eine Fackel reichen, entzündete damit eine Pappfigur, die den Atheismus darstellen sollte; aus ihrer Asche erhob sich sodann die (peinlicherweise etwas rauchgeschwärzte) Symbolfigur der Weisheit. Nach einer weiteren kurzen Rede Robespierres zog die Volksmenge durch die Stadt zum Marsfeld. Eine der choralartigen Hymnen, die eigens für diesen Tag gedichtet worden waren, endete mit den Worten des Chores: «Ehe wir unsere triumphierenden Schwerter niederlegen, schwören wir, das Verbrechen und die Tyrannei zu vernichten.»
    Die ausführlichste Darlegung seiner Grundsätze trug Robespierre am 19. Pluviôse des Jahres II, dem 7. Februar 1794, dem Konvent vor. Das Ziel der Revolution sei der «friedliche Genuß der Freiheit und Gleichheit, deren Gesetze nicht in Stein und Marmor, sondern in die Herzen aller Menschen gemeißelt sind, selbst in das der Sklaven, der sie vergißt, und das des Tyrannen, der sie leugnet.» Die aus der Revolution hervorgegangene Ordnung nannte Robespierre eine Demokratie; er beschrieb sie als einen Staat, «in dem das Volk als Souverän unter Aufsicht seiner selbstverfaßten Gesetze all das tut, was in seiner Macht steht, und durch seine Vertreter alles tut, was es selbst nicht ausführen kann». Als Grundprinzip der demokratischen Volksregierung bezeichnete er die «öffentliche Tugend, die in Griechenland und Rom so viele Wunder hervorbrachte und die noch Erstaunlicheres hervorbringen wird, eine Tugend nämlich, die nichts anderes als die Liebe zum Vaterland und seinen Gesetzen ist».
    Mit solchen Definitionen und Bekenntnissen ließ es aber Robespierre nicht bewenden. Da er die Revolution noch immer für bedroht hielt, gab er die Parole aus: «Dem Volk gegenüber Vernunft, den Feinden des Volkes Terror … Ohne Tugend ist der Terror verheerend, und die Tugend ist ohne den Terror machtlos. Der Terror ist nichts anderes als ein schnelles, strenges und unerbittliches Gericht, also eine Erweiterung der Tugend … Bezwingt die Feinde der Freiheit durch Terror, und ihr habt recht, denn ihr seid die Gründer der Republik. Die Revolutionsregierung ist der Despotismus der Freiheit gegen die Tyrannis.»
    Wer Freund und Feind der Freiheit war: das bestimmte zwar nicht Robespierre allein, aber er mehr als jedes andere Mitglied des Wohlfahrtsausschusses. Der «Despotismus der Freiheit» war vom Sommer 1793 bis zum Frühjahr 1794 immer unersättlicher geworden, und das keineswegs infolge einer wachsenden inneren und äußeren Bedrohung. Als Robespierre am 7. Februar 1794 seine Grundsatzrede über Tugend und Terror hielt, gab es an der Selbstbehauptung der Revolution kaum noch Zweifel. Das galt erst recht für den Sommer 1794, als die Koalitionstruppen aus Frankreich vertrieben wurden.
    Zwei Tage nach dem Fest des Höchsten Wesen, am 10. Juni 1794, dem 22. Prairial des Jahres II, passierte das Gesetz über den verschärften Terror,

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