Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition)

Titel: Geschichte des Westens: Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
Vom Netzwerk:
rückwirkender Gesetze, und führte wieder, wie schon ihre Vorvorgängerin von 1791, ein Zensuswahlrecht ein. Anders als vier Jahre zuvor wurden die Volksvertreter aber nicht direkt, sondern indirekt, von Wahlversammlungen (Assemblées électorales), gewählt, die ihrerseits aus Urversammlungen (Assemblées primaires) hervorgingen. Der gesetzgebende Körper bestand aus zwei Kammern, dem Rat der 500 (Conseil des Cinq-Cents), der das Recht der Gesetzesinitiative hatte, und dem Rat der Alten (Conseil des Anciens), der die Beschlüsse des Rates der 500 zu genehmigen oder zu verwerfen hatte. Dem gesetzgebenden Körper stand als Exekutive ein fünfköpfiges Direktorium gegenüber. Seine Mitglieder wurden vom Rat der Alten aus einer Liste mit 50 Namen ausgewählt, die der Rat der 500 vorzulegen hatte. Dem Direktorium waren als Erfüllungsgehilfen Minister untergeordnet, die jederzeit ihres Amtes wieder enthoben werden konnten.
    Die Direktorialverfassung schien der Maxime Montesquieus zu folgen, wonach die Macht nur durch die Macht gebändigt werden kann: «Le pouvoir arrête le pouvoir.» Doch die Gewaltenteilung des Jahres III war schlecht durchdacht. Sie trennte, wie Crane Brinton bemerkt, «die exekutive von der legislativen Gewalt so vollständig, daß eine ständige Rivalität zwischen dem Direktorium und den Kammern unvermeidlich und ein wirksames Zusammenarbeiten nahezu unmöglich war». Die Folge war eine institutionelle Dauerkrise, die den Keim zu gewaltsamen Konfliktlösungen in sich trug.
    Die erste große Herausforderung des Direktorialsystems ging von der äußersten Linken aus: Es war die legendäre «Verschwörung der Gleichen» um François Noël («Gracchus») Babeuf, der nichts Geringeres anstrebte als die vollständige Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln und die Errichtung einer kommunistischen Gesellschaft. Das Nahziel Babeufs, der Sturz des Direktoriums und die Wiederherstellung der Verfassung von 1793, war nicht ganz so utopisch: Die Abschaffung des Assignatenpapiergeldes im Februar 1796 hatte die Preise in schwindelerregende Höhen getrieben, was zu massenhafter sozialer Unzufriedenheit führte. Den Umsturz der bestehenden Ordnung konnte freilich nach Babeufs Überzeugung nicht das Volk, sondern nur eine zur revolutionären Tat entschlossene Minderheit bewirken: ein Vorhaben, das schon deshalb fehlschlug, weil das Direktorium durch Polizeispitzel über die Verschwörung bestens informiert war.
    Der Verhaftung Babeufs und seiner Getreuen am 10. Mai 1796 folgten im September eine rasch niedergeschlagene Erhebung von Jakobinern und Babouvisten und im Februar 1797 ein Prozeß vor dem Obersten Gericht, der sich über drei Monate hinzog. Er endete am 26. Mai 1797 mit Todesurteilen für Babeuf und seinen Mitverschwörer Darthé, der Verurteilung von sieben anderen Beschuldigten, darunter dem früheren Kommissar des Wohlfahrtsausschusses für Korsika, Philippe Michele Buonarroti, zur Deportation und der Freilassung von 56 weiteren Angeklagten. Babeuf und Darthé versuchten sich nach der Urteilsverkündung gegenseitig zu erdolchen. Der Versuch mißlang. Am folgenden Tag, dem 27. Mai 1797, wurden beide auf dem Vendôme-Platz guillotiniert.
    Die «Verschwörung der Gleichen» war, weil ihr der gesellschaftliche Rückhalt fehlte, nur eine Episode in der Geschichte der Französischen Revolution. Babeufs Ideen von der kommunistischen Gesellschaft und der Diktatur einer revolutionären Avantgarde aber wirkten fort. Dafür sorgte vor allem eine Schrift unter dem Titel «Verschwörung der Gleichheit, genannt die von Babeuf», die Buonarroti 1828 in Brüssel veröffentlichte. Sie rief auch das «Manifest der Gleichen» in Erinnerung, das Sylvain Maréchal, ein führendes Mitglied der Verschwörung, im Mai 1796 verfaßt hatte. Es enthielt den bedeutungsschweren Satz: «Die Französische Revolution ist nur die Vorläuferin einer viel größeren, viel ernsteren Revolution, die die letzte sein wird. (La révolution française n’est que l’avant-courière d’une autre révolution bien plus grande, bien plus solennelle, et qui sera la dernière).» Maréchals These inspirierte viele revolutionäre Geister des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts – von dem französischen Revolutionär und Theoretiker des bewaffneten Aufstands Auguste Blanqui über den deutschen Philosophen und Begründer des «Wissenschaftlichen Sozialismus» Karl Marx bis zu Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin, dem Führer

Weitere Kostenlose Bücher