Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
Vom Netzwerk:
wegen der wachsenden «Schere» zwischen hohen Preisen und niedrigen Löhnen der Markt für Konsumgüter zusammen. Damit begann eine bald die ganze Welt (mit der bezeichnenden, noch zu erörternden Ausnahme Deutschlands) erfassende Nachkriegsdepression. In den Vereinigten Staaten sank das Bruttosozialprodukt zwischen 1920 und 1921 um fast 10 Prozent; etwa 100.000 Unternehmen meldeten Bankrott an; rund 5 Millionen Beschäftigte verloren ihren Arbeitsplatz. Erst in der zweiten Hälfte des Jahres 1922 begann sich die Wirtschaft wieder zu beleben.
    Die USA erlebten in den sieben Jahren danach eine Periode hoher Wachstumsraten, die vor allem von zwei Faktoren bestimmt wurde: der Bauindustrie, in der es einen gewaltigen, kriegsbedingten Nachholbedarf an Investitionen gab, und in der Automobilindustrie, die dank der immensen technologischen Fortschritte des vorangegangenen Jahrzehnts so preiswert produzieren konnte, daß sie sich binnen kurzem einen Absatzmarkt von bisher unbekannten Ausmaßen schuf. Im Jahre 1917 waren 1,7 Millionen Autos hergestellt worden, 1929 waren es 4,5 Millionen. In diesem letzten Jahr der Prosperitätsperiode rollten bereits 26 Millionen Personen- und Lastkraftwagen über die Straßen der USA. Das Auto war zu einem für die meisten Haushalte erschwinglichen Luxusgut geworden. Im Heimatland von Ford, General Motors und Chrysler entfiel Ende der zwanziger Jahre ein Auto auf fünf Personen, in Großbritannien auf 43, in Italien auf 325, in Rußland auf tausend Personen. Amerika wurde in den zwanziger Jahren vollends zum Pionierland des gehobenen Massenkonsums: eine Entwicklung, die schon vor 1914 eingesetzt hatte, sich aber erst nach dem Krieg auf breiter Front durchsetzen konnte und schon Zeitgenossen begeistert von einer «New Era» sprechen ließ.
    Der Boom in der Automobilbranche stimulierte viele andere Wirtschaftszweige: den Straßenbau und damit die Baubranche, die Stahlindustrie, die Reifenhersteller und zahllose andere Zulieferindustrien, die Ölkonzerne, das Tankstellen- und das Gaststättengewerbe. Das Auto ließ die Entfernungen schrumpfen und Amerika weiter zusammenwachsen; es erleichterte das tägliche Pendeln zwischen «suburb»und «downtown»; es erhöhte die Mobilität der Einzelnen und gab, ebenso wie die Überlandbusse und die immer schneller fahrenden Eisenbahnen, dem Massentourismus Auftrieb. Kaum weniger einschneidend wirkte sich der Siegeszug eines Mittels der modernen Massenkommunikation aus: des Rundfunks, der in Amerika, anders als in Europa, nicht von staatlichen, sondern von privaten Sendern betrieben wurde. 1925 gab es etwa zwei Millionen Radiogeräte in den USA; fünf Jahre später war fast jeder amerikanische Haushalt im Besitz eines solchen Apparats. Die Zeitungen erhielten Konkurrenz durch eine sehr viel schnellere Form der Nachrichtenübermittlung; Rundfunksender wetteiferten fortan mit Theatern, Opernhäusern und Varietés um die Gunst des Publikums.
    Was populäre oder anspruchsvolle Unterhaltung betraf, konnte der Rundfunk das Kino aber nicht überbieten. 1922 zählten die amerikanischen Lichtspielhäuser 40 Millionen, acht Jahre später 100 Millionen Besucher. Seit 1927 verdrängte der Tonfilm allmählich den Stummfilm. Hollywood, die Filmmetropole der USA, nutzte die zeitweilige Schwächung der europäischen Konkurrenz durch den Krieg, um seinen globalen Führungsanspruch durchzusetzen. So viel Amerika auch in diesem Bereich vom «alten Kontinent» lernte, mit seinen «Stars» Buster Keaton, Charlie Chaplin, Stan Laurel, Oliver Hardy und Rudolph Valentino und den Zeichentrickfilmen von Walt Disney verhalf es der eigenen «popular culture» zu einem weltweiten Triumph, den ihm kein anderes Land streitig machen konnte. Über Hollywood machten auch europäische Stars wie Pola Negri und Greta Garbo internationale Filmkarriere. Der Tonfilm eignete sich überdies vorzüglich als Vehikel eines anderen amerikanischen Exportartikels, der nicht aus dem «weißen» Hollywood, sondern aus dem «schwarzen» New Orleans stammte: des Jazz, personifiziert durch Louis Armstrong und Duke Ellington. («The Jazz Singer» von 1927 mit Al Jolson in der Hauptrolle war der erste Tonfilm überhaupt.) In den zwanziger Jahren eroberte der Jazz endgültig auch Europa, wo sich alsbald die Geister schieden: in Bewunderer und Verächter dieser amerikanischen Musikrevolution.
    Die «roaring twenties» begannen in Amerika und erfaßten rasch die ganze Welt, aber nirgendwo waren die

Weitere Kostenlose Bücher