Geschichte des Westens
Besatzungszeit entstandene Staatswesen, die Fernöstliche und die Küstenrepublik, einverleibte. Selbständig blieben vorerst noch die beiden zentralasiatischen Sowjetrepubliken, die 1920 mit Hilfe der russischen Bolschewiki im Khanat Chiwa und im Emirat Buchara ins Leben gerufen worden waren.
Als der Bürgerkrieg zu Ende ging, war Sowjetrußland von innerer Konsolidierung noch weit entfernt. Der 5. Allrussische Sowjetkongreß hatte zwar am 10. Juli 1918 eine Verfassung angenommen, diedas Rätesystem festschrieb. Aber die Verfassungswirklichkeit sah anders aus. In der Zeit des Bürgerkriegs verloren die östlichen Sowjets viele ihrer bisherigen Kompetenzen an außerordentliche Organe, die mit umfassenden Vollmachten ausgestattet waren. Eines dieser Organe war die Allrussische Außerordentliche Kommission zum Kampf gegen Konterrevolution und Sabotage, kurz Tscheka genannt, deren Maßnahmen sich bald auch gegen verdächtige Mitglieder der Sowjets richteten. Die Koordinierung aller politischen, militärischen und wirtschaftlichen Aufgaben oblag zeitweilig nicht dem Rat der Volkskommissare, sondern dem im November 1918 gebildeten Rat der Arbeiter- und Bauernverteidigung. Alle ordentlichen und außerordentlichen Organe wurden gelenkt von der Kommunistischen Partei, die dem revolutionären Prozeß auf allen Ebenen die Richtung wies. Sie wuchs bis zum März 1921 auf 730.000 Mitglieder an, wobei die relativen Anteile der Arbeiter zurückgingen, die der Angestellten und anderer Berufsgruppen stiegen.
Der Bürgerkrieg war die Zeit des «Kriegskommunismus»: einer primitiven Kommandowirtschaft, die Arbeiter, Bauern und kleine Gewerbetreibende, wo immer nötig, mit den Mitteln des Terrors zur Erfüllung der ihnen auferlegten Pflichten zwang. Die Regierung mußte versuchen, den dramatischen Rückgang der industriellen Produktion zu kompensieren: Diese erreichte, nicht zuletzt infolge der Verstaatlichung der Großbetriebe im Frühsommer 1918, Ende des Jahres 1918 nur noch ein Fünftel des Standes von 1913. Arbeitskräfte wurden im Bedarfsfall zwangsrekrutiert. Da die Inflation die Kaufkraft der Löhne weitgehend vernichtet hatte, wurden die Arbeiter in Form von Naturalien und Lebensmittelrationen entlohnt. Im Uralgebiet zogen sich 1920 37 Prozent der Arbeiter aufs Land zurück; im Jahr darauf fehlte den metallverarbeitenden Fabriken rund die Hälfte der Belegschaften. Einen privaten Handel gab es schon seit dem Herbst 1918 nicht mehr.
Die Kornkammern Südrußlands waren im Bürgerkrieg in die Hände der «Weißen» gefallen. Die anschließende Requisition von Getreide in den von den Bolschewiki kontrollierten Gebieten, durchgeführt von den neugegründeten Komitees der Dorfarmut (Kombedy) und der Roten Armee, führte dazu, daß die Bauern aufhörten, ihr Land zu pflügen und nur noch anbauten, was sie für ihren eigenen Bedarf benötigten. 1921 war die Anbaufläche auf 62 Prozent geschrumpft, der Ernteertrag auf 37 Prozent. Die logische Konsequenzder Zwangsmaßnahmen in Stadt und Land war eine wachsende, die Initiative der Einzelnen lähmende Bürokratisierung.
Das Ende des Bürgerkrieges bedeutete noch nicht das Ende des Kriegskommunismus. Es war aber verbunden mit zunehmendem Protest gegen die Fortdauer der Kommandowirtschaft und des Terrors. Das Jahr 1921 sah in seiner ersten Hälfte zahllose Bauernaufstände und Hungerstreiks der Arbeiter, unter anderem in Moskau und Petrograd. Im Januar wurde die Brotverteilung in den Städten um ein Drittel gekürzt; in Petrograd mußten über 60 der größten Fabriken wegen Brennstoffmangel schließen. Am 22. Februar verlangten die Arbeiter anderer Petrograder Großbetriebe auf einer Kundgebung, auf der vor allem Menschewiki und Sozialrevolutionäre sprachen, die Abschaffung der bolschewistischen Diktatur, die Wiederherstellung der Grundfreiheiten und riefen zur Durchsetzung dieser Forderungen zum Generalstreik auf. Die Tscheka antwortete am 24. Februar mit Schüssen auf die Teilnehmer einer Arbeiterkundgebung, wobei 12 Menschen starben; es folgten Massenverhaftungen. Dennoch schlossen sich Tausende von Soldaten den streikenden Arbeitern an. Rußland schien am Vorabend einer neuen Revolution zu stehen.
Am 2. März 1921 begann, was die Moskauer Führung am meisten befürchtet hatte: eine Meuterei der 15.000 Matrosen von Kronstadt, auf der Insel Kotlin im Finnischen Meerbusen, also vor den Toren Petrograds gelegen. Die Matrosen von Kronstadt hatten 1917 zu den treuesten und
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