Geschichte des Westens
Zwanzigerjahre so «golden» wie in den USA. Von der Prosperität der «New Era» seit 1923 profitierte nicht nur «big business», sondern auch das Gros der Bevölkerung.Henry Ford, der Chef der Ford Motor Company, hielt fest an der Philosophie des «Fordismus», zu der es gehörte, Rationalisierungserfolge in Form von Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen an die Arbeitnehmer weiterzugeben. Der «welfare capitalism» à la Ford schloß betriebliche Arbeitslosenversicherungen und Betriebsgewerkschaften ein, nicht aber eine Tarifpartnerschaft mit unabhängigen Gewerkschaften. Vielmehr gelang es den Großunternehmen nach 1919, auf breiter Front das Prinzip des «open shop» durchzusetzen, wonach kein Mitglied der Belegschaft genötigt werden durfte, einer Gewerkschaft beizutreten. Die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder sank zwischen 1920 und 1929 von über 5 Millionen auf unter 3 Millionen, was freilich auch daran lag, daß die AFL ganz überwiegend eine Interessenvertretung der weißen Facharbeiter blieb und sich vergleichsweise wenig um die ungelernten Arbeiter und die in dieser Gruppe besonders zahlreichen Schwarzen kümmerte.
Die Administration von Calvin Coolidge war so unternehmerfreundlich, wie man das von einer republikanischen Regierung erwarten konnte. Coolidge, ein strenger neuenglischer Protestant, bekannte sich zu der Maxime: «Der Mann, der eine Fabrik baut, baut einen Tempel, der Mann, der darin arbeitet, verrichtet eine Andacht» (The man who builds a factory builds a temple, the man who works there worships there). Handelsminister Herbert Hoover förderte im Zeichen des «associationalism» systematisch den freiwilligen Zusammenschluß ganzer Industriebranchen zu Interessenvereinigungen, von denen er sich einen stabilisierenden Einfluß auf die Preisbildung versprach.
Die Wirtschaftspolitik der zwanziger Jahre war, der republikanischen Tradition entsprechend, liberal nach innen und protektionistisch nach außen. Bereits während der Präsidentschaft Hardings hatte die republikanische Kongreßmehrheit im Fordney-Cumber Tariff Act von 1922 die bisher höchsten Importzölle der amerikanischen Geschichte eingeführt, um die Landwirtschaft, die chemische und die Metallindustrie vor einem angeblichen Preisdumping des Auslands zu schützen. Die Farmer, die infolge der fortschreitenden Mechanisierung der Landwirtschaft unter massiver Überproduktion litten, drängten auf einen sehr viel weitergehenden Schutz und fanden dafür im Senat und im Repräsentantenhaus breite Zustimmung. Unter dem Eindruck weltweit fallender Agrarpreise stimmte der Kongreß 1927 und 1928 der McNary-Haugen Bill zu, die einen Ankauf von Weizen, Baumwolle,Tabak, Reis und Mais durch die Regierung und den anschließenden Weiterverkauf zu den niedrigeren Weltmarktpreisen vorsah. Präsident Coolidge legte aber beide Male sein Veto ein, weil er massive Vergeltungsmaßnahmen der betroffenen Länder fürchtete.
Auch ohne die McNary-Haugen Bill verdient die amerikanische Außenhandelspolitik der republikanischen Administrationen der zwanziger Jahre das Etikett «hochprotektionistisch». Die Schutzzölle der USA förderten den wirtschaftlichen Nationalismus in den Staaten, denen die Abschottung des amerikanischen Marktes besonders schadete. Betroffen war vor allem Deutschland, das darauf angewiesen war, seine Reparationszahlungen durch Exporte zu finanzieren. Mit Deutschland hatten die Vereinigten Staaten im August 1921 einen separaten Friedensvertrag abgeschlossen. Das war eine logische Konsequenz der Nichtratifizierung des Vertrags von Versailles durch den Senat. Deutschland war als Handelspartner und Standort amerikanischer Investitionen viel zu wichtig, als daß seine Entwicklung den USA hätte gleichgültig sein können. Auch deswegen stellte sich Präsident Coolidge bei der McNary-Haugen Bill zweimal der Kongreßmehrheit entgegen.
Der amerikanische Isolationismus hatte zwar den Eintritt des Landes in den Völkerbund verhindern können, aber den Verantwortlichen in Washington war klar, daß die wirtschaftlichen Interessen der Vereinigten Staaten in Europa und besonders in Deutschland einer flankierenden Politik bedurften. Die deutsche Reparationsfrage war auf engste verknüpft mit dem Problem der interalliierten Schulden, das nur von den USA gelöst werden konnte. Ein stabiles Deutschland in einem stabilen Europa war von höchster Bedeutung für Amerika: Diese Einsicht zog dem «Isolationismus» gewisse Grenzen und sorgte dafür,
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