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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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den zwei Jahren zwischen Oktober 1920 und Oktober1922.300 Faschisten und 3000 Antifaschisten bei Unruhen, Straßenkämpfen und anderen Ausschreitungen ums Leben gekommen seien, mögen anfechtbar sein. Es war aber nicht zweifelhaft, daß die Squadristen ungleich systematischer Gewalt ausübten als die zur Abwehr solcher Überfälle geschaffenen «Arditi del popolo» auf der Linken.
    Während weite Teile des Landes immer mehr in Chaos und Anarchie versanken, wechselten in Rom die Regierungen. Anfang 1922 beschlossen die Sozialisten, Bonomi zu Fall zu bringen. Da sie sich auf ihrem Parteitag im Oktober 1921 gegen jede «Kollaboration» mit bürgerlichen Parteien ausgesprochen hatten und keine Konstellation absehbar war, in der sie zu mehr politischem Einfluß gelangen konnten, war dieser Schritt ein gefährlicher Beitrag zur weiteren Destabilisierung Italiens. Dieselbe Wirkung zeitigte die Entscheidung des im Februar 1922 gewählten neuen Papstes Pius XI., den Popolari Don Sturzos die kirchliche Unterstützung zu entziehen. An die Stelle Bonomis trat am 25. Februar 1922 Luigi Facta, ein Freund Giolittis vom rechten Flügel der Demokratischen Partei, der sich zeitweilig auch auf die Faschisten stützen konnte, aber über keine parlamentarische Mehrheit verfügte.
    Am 19. Juli 1922 stürzte die Regierung Facta, woraufhin König Viktor Emanuel III. die Parteiführer bis hin zu den Sozialisten zu Gesprächen einlud. Auf Beschluß der Mehrheit der sozialistischen Parlamentsfraktion sollte auch Filippo Turati eine solche Unterredung mit dem Monarchen führen, was eine Premiere bedeutete, da die Sozialisten den «Hofgang» bislang konsequent verweigert hatten. Der Parteivorstand der Sozialisten aber antwortete umgehend mit dem Parteiausschluß Turatis und seiner Gruppe. Daraufhin wandte sich Turati an den Parteitag der Sozialisten, der im Oktober 1922 in Rom zusammentrat. Dieser bestätigte mit knapper Mehrheit den Beschluß des Parteivorstands. Die ausgeschlossene Gruppe konstituierte sich daraufhin in einer neuen Partei, dem Partito Socialista dei Lavoratori Italiani, die von Turati, Emanuele Modigliani und Claudio Treves geführt wurde und den Abgeordneten Giacomo Matteotti zu ihrem Generalsekretär wählte. Es gab damit in Italien nunmehr drei sozialistische Parteien: die neue Gruppierung, die sich bald in Partito Socialista Unitario umbenannte, die alte, jetzt Partito Socialista Massimalista genannte Partei und den Partito Comunista Italiano.
    Da die Sondierungsgespräche am Nein der Sozialisten gescheitertwaren, ernannte der König am 1. August Facta erneut zum Ministerpräsidenten, der diesmal für seine Regierung sogar eine breite parlamentarische Mehrheit erhielt. Auf den gleichen Tag hatte die antifaschistische Alleanza del Lavoro die Arbeiter zum Generalstreik aufgerufen. Dieser brachte den Eisenbahnverkehr und fast das gesamte Wirtschaftsleben zum Erliegen. Mussolini konterte die Aktion im Parlament mit einem Ultimatum an die Regierung: Wenn diese den Ausstand nicht binnen 24 Stunden beende, würden die faschistischen Kampfverbände dies tun. Der Ankündigung folgte die Tat auf dem Fuß. Der «Avanti» wurde im Verlauf blutiger Straßenkämpfe in Mailand abermals in Brand gesteckt; die Squadristen stürmten vielerorts, unter anderem in Ancona, Livorno und Genua, die Gebäude der Sozialisten, besetzten die Eisenbahnen und trieben die Arbeiter, soweit sie nicht von sich aus die Arbeit wieder aufnahmen, mit brutaler Gewalt in die Fabriken zurück. Die sozialistische Arbeiterschaft hatte ihre bisher schwerste Niederlage erlitten, die Faschisten waren auf ihrem Weg an die Macht ein entscheidendes Stück vorangekommen.
    Am 24. Oktober 1922 veranstalteten die Faschisten in Anwesenheit hoher Behördenvertreter eine Großdemonstration in Neapel. Drei Tage später, am Abend des 27. Oktober, erteilte Mussolini seinen paramilitärischen Kohorten den Befehl zum «Marsch auf Rom». Ministerpräsident Facta schlug dem König daraufhin die Verhängung des Ausnahmezustands vor; dieser stimmte zunächst zu, weigerte sich aber am nächsten Morgen, obwohl die Maßnahme bereits bekanntgegeben worden war, die Anordnung zu unterzeichnen. Damit lag das Gesetz des Handelns ganz in den Händen des «Duce». Hatte Mussolini bisher nur an eine Beteiligung der Faschisten an einer rechten Regierung unter Salandra gedacht, so forderte er jetzt das Amt des Ministerpräsidenten für sich selbst. Erst als der König sich diesem

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