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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Wahlagitation. Der Wahltag selbst, der 15. Mai, wurde durch zahlreiche blutige Zwischenfälle überschattet, die von den Faschisten ausgelöst wurden und Dutzende von Menschenleben forderten. Das Wahlergebnis war für Giolitti eine herbe Enttäuschung: Sein «Nationaler Block» kam auf 120 von insgesamt 535 Sitzen, wovon 36 auf die Faschisten entfielen – für die letzteren ein spektakulärer Erfolg angesichts der Tatsache, daß sie zuvor in der Kammer überhaupt nicht vertreten gewesen waren. Zu den Gewinnern zählten auch die Popolari, die mit 108 Abgeordneten in das Parlament einzogen, und die bürgerlichen Radikalen, die auf 68 Abgeordnete kamen. Die Sozialisten mußten Verluste hinnehmen: Sie erlangten 123, die Kommunisten 15 Sitze.
    An eine stabile Regierungskoalition war unter diesen Bedingungen nicht zu denken. Giolitti verfiel daher auf den naheliegenden Gedanken, notwendige Maßnahmen, obenan die Verminderung der immensen Zahl der Staatsbediensteten, mit Hilfe einer Notverordnung durchzusetzen, erhielt dafür aber keine parlamentarische Mehrheit, woraufhin er am 27. Juni 1921 zurücktrat. Seine Nachfolge trat der bisherige Kriegsminister Ivanoe Bonomi an, ein ehemaliger Sozialist, den seine Partei ausgeschlossen hatte, weil er 1911/12 den Krieg gegen Libyen unterstützt hatte. Um sich das Wohlwollen Mussolinis zu sichern, nahm der neue Regierungschef die Gewalttaten der Faschisten mit derselben Gleichgültigkeit hin wie zuvor schon Giolitti. Er befand sich damit in bester Gesellschaft: Die gleiche Haltung legten auch die an deren Minister, die Militärs und Präfekten an den Tag. Vielerorts arbeiteten Armeeoffiziere sogar mit den «squadre» zusammen, denen sie Waffen und Kraftfahrzeuge zur Verfügung stellten. Als Bonomi nach einem Börsenkrach im August 1921 das von der Kirche befehdete Steuergesetz suspendierte, konnte er sich der Unterstützung Mussolinis erfreuen, der bald darauf die völlige Aufhebung des Gesetzes bewirkte.
    Mussolini stand an der Spitze der Faschisten, aber er war nicht ihr einziger Führer. Über großen Einfluß verfügten die Vertreter des (schon von Zeitgenossen etwas zu pauschal so genannten) «Agrarfaschismus» Nord- und Mittelitaliens wie die besonders radikalen regionalen Unterführer (ras) Roberto Farinacci in Cremona, ein ehemaliger Sozialist, der «linke» Republikaner Dino Grandi in Bologna und Italo Balbo in Ferrara. Diese und andere «ras» widerstrebten einer allzu straffen Parteiführung durch Mussolini, und sie rebellierten gegen ihn, als er auf Drängen Bonomis im August 1921 einen Befriedungspakt (patto di pazificazione) mit den Sozialisten schloß. Der Waffenstillstand blieb faktisch folgenlos, was auch daran lag, daß die Unterführer bei ihrem Widerstand gegen die Abmachung von Großagrariern und Unternehmern unterstützt wurden. Auf dem Kongreß der Faschisten in Rom im November 1921 sah sich Mussolini genötigt, dieses Kapitel zu beenden.
    Der Kongreß wurde dennoch zu einem großen Erfolg für den «Duce»: Er setzte gegen vielerlei Widerstände die Umwandlung der faschistischen Bewegung in eine Partei, den Partito Nazionale Fascista, durch. Danach kam es zu einer förmlichen Explosion faschistischer Gewalt. Neben Einrichtungen der Linken wurden auch solche der Popolari und der Liberalen attackiert; sozialistische Abgeordnete wurden aus ihren Wahlkreisen «verbannt», ohne daß die Polizei den Verfolgten zur Hilfe kam. Im Frühjahr 1922 häuften sich die Besetzungen ganzer Städte durch die «squadre», wobei D’Annunzios Aktion in Fiume als Vorbild diente. Im April und Mai wurde etwa Ferrara zweimal von Squadristen eingenommen, die die Stadt zeitweilig völlig von Verbindungen zu ihrer Umwelt abschnitten. Die örtlichen Polizeikräfte erwiesen sich gegenüber der geballten Gewalt von Zehntausenden paramilitärisch gedrillter Schwarzhemden als machtlos.
    Den Höhepunkt erreichte der faschistische Terror Ende Juli 1922, als Italo Balbo an der Spitze einer großen Zahl von Squadristen einen Kriegszug gegen das linke Ravenna unternahm und dabei die verdeckte Unterstützung staatlicher Stellen fand. Die proletarische Gegenwehr in Gestalt der neugeschaffenen «Alleanza del lavoro», an der sich außer Sozialisten und Kommunisten auch die Anarchisten beteiligten, vermochte, da ihr staatliche Hilfe versagt blieb, der rechten Gewalt keinen wirksamen Widerstand zu leisten. Sie wurde binnen kurzem von den Faschisten zerschlagen. Angaben der Linken, wonach in

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