Geschichte des Westens
der politisch deutlich rechts von der Mitte stand. Ebert mochte hoffen, daß ein erfahrener Wirtschaftsfachmann an der Spitze des Kabinetts das deutsche Unternehmertum stärker an die Republik heranführen und auch im Ausland einen guten Eindruck machen würde. Neben Cuno waren noch vier weitere Kabinettsmitglieder parteilos, unter ihnen der bisherige Essener Oberbürgermeister Hans Luther als Ernährungsminister und der frühere Generalquartiermeister Wilhelm Groener, der, wie schon unter Fehrenbach und Wirth, das Verkehrsministerium übernahm. Die übrigen Minister waren Mitglieder von Zentrum, BVP, DDP und DVP. Von einer parlamentarischen Mehrheit war das bürgerliche Minderheitskabinett Cuno weit entfernt. Es hatte nur dann eine Überlebenschance, wenn es von der SPD toleriert wurde.
Wie keine andere der bisherigen Weimarer Regierungen ähnelte die Ministermannschaft Cunos einem kaiserlichen Beamtenkabinett, und noch nie hatte der Reichspräsident so viel Einfluß auf die Auswahl desReichskanzlers genommen wie im November 1922. Mit einer leichten Übertreibung könnte man die Regierung Cuno sogar ein verdecktes Präsidialkabinett nennen. Es war aber nicht nur ein Fehlgriff Eberts, daß es zu einem solchen Rückfall in den Obrigkeitsstaat kam. Die Hauptverantwortung für diese Entwicklung lag bei der Staatsgründungspartei der Weimarer Republik, der Sozialdemokratie. Aus Sorge um ihren Zusammenhalt als Partei hatte sie sich einer parlamentarischen Krisenlösung verweigert und damit die präsidiale Lösung erst möglich gemacht.[ 15 ]
Entscheidungsjahr 1923:
Von der Ruhrbesetzung zum Dawes-Plan
Die Regierung Cuno war noch keine zwei Monate im Amt, als am 11. Januar 1923 französische und belgische Truppen das Ruhrgebiet besetzten und damit die schärfste internationale Konfrontation seit dem polnisch-russischen Krieg von 1920, wenn nicht seit dem Ende des Ersten Weltkrieges herbeiführten. Die Begründung war ein Vorwand: Deutschland wurde, entsprechend den Feststellungen der alliierten Reparationskommission, eine schuldhafte Verletzung seiner Pflichten zur Lieferung von Schnittholz, Telegrafenstangen und Kohle vorgeworfen.
Das Versäumnis ging auf das Konto des vorangegangenen Kabinetts Wirth, das sich seit August 1922 bewußt an die populäre Devise «Erst Brot, dann Reparationen» gehalten hatte. Die Verzögerung war fahrlässig, da Frankreich seit dem Vertrag von Rapallo nur auf einen Anlaß wartete, um das Ruhrgebiet zu besetzen. Die Okkupation sollte Frankreich zu jener Sicherheit gegenüber dem Nachbarn im Osten verhelfen, die es wegen des Widerstands der beiden angelsächsischen Mächte in Versailles nicht hatte durchsetzen können. Hinter dem Sicherheitsinteresse aber stand mehr: die Untermauerung des französischen Anspruchs auf die Vormachtstellung in Kontinentaleuropa. Frankreichs Vorgehen war eine Politik hart am Rande des Krieges. Von den Alliierten erhielt Paris keinerlei Unterstützung; Großbritannien protestierte gegen die Ruhrbesetzung; der Vatikan verurteilte sie.
Die deutsche Antwort auf den aggressiven, auch von Großbritannienverurteilten, Akt war die Politik des «passiven Widerstandes»: der Nichtbefolgung der Anweisungen der Besatzer. Für diese Linie fand die Regierung Cuno eine große Mehrheit im Reichstag und die aktive Unterstützung der Gewerkschaften. Nur die äußerste Linke und die äußerste Rechte fügten sich nicht in die nationale Einheitsfront ein. Die Kommunisten gaben am 22. Januar die Parole aus «Schlagt Poincaré und Cuno an der Ruhr und an der Spree!», betonten in den folgenden Wochen aber doch, schon aus Rücksicht auf die «antiimperialistische», gegen Frankreich gerichtete Politik der Sowjetunion, den Gegensatz zum äußeren Gegner stärker als den zum inneren. Extremer war die Haltung der Nationalsozialisten. Am 11. Januar 1923 verkündete Hitler vor seinen Anhängern im Zirkus Krone in München, nicht «Nieder mit Frankreich!», sondern «Nieder mit den Novemberverbrechern!» müsse es heißen.
Infolge des deutschen Boykotts konnten Franzosen und Belgier bis März 1923 keine Reparationen erzwingen: Insofern erreichte die Politik des passiven Widerstands zunächst einmal ihr Hauptziel. Dann aber gingen die Besatzer dazu über, Zechen und Kokereien zu beschlagnahmen und das Eisenbahnwesen in eigene Regie zu übernehmen. Das Reich mußte nicht nur die Gehälter für die Bediensteten der Reichsbahn weiterzahlen, die aus dem besetzten Gebiet ausgewiesen
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