Geschichte des Westens
die katholische Kirche, der weitreichende Privilegien auf dem Erziehungssektor eingeräumt wurden. Das Gros des Militärs verhielt sich zunächst distanziert. In dieser Elite gewann Primo de Rivera verstärkten Rückhalt erst durch die militärischen Erfolge, die er, nach einem Angriff Abd el-Karims auf Französisch-Marokko durch eine koordinierte französisch-spanische Offensive in Nordafrika errang: 1927 konnte der Kolonialkrieg im wesentlichen als beendet gelten.
Am erstaunlichsten war, daß die Sozialistische Partei und die UGT sich zur Zusammenarbeit mit der neuen Regierung bereit fanden. Das lag vor allem an dem sozialen «appeal» des Generals Primo de Rivera, der gute persönliche Beziehungen zu Largo Caballero, dem Sekretär der UGT und späteren Führer der Sozialisten, unterhielt und mit der Förderung des Baus preiswerter Sozialwohnungen sowie der Schlichtungvon Tarifkonflikten durch gemeinsame, paritätisch besetzte Kommissionen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern die gemäßigte Linke zu beeindrucken vermochte. Die als nicht integrierbar geltenden Teile des Proletariats wurden hingegen, beginnend mit dem Verbot der Anarchosyndikalistischen Gewerkschaft CNT, bekämpft, die Führer der Kommunisten nach Generalstreiks an der Biskaya und in Asturien 1927 verhaftet. Ein Verbot traf auch die katalanische Lliga Regionalista. Die monarchistischen Parteien lösten sich bald nach dem Putsch auf; viele ihrer Mitglieder traten in die gouvernementale Einheitspartei, die 1924 gegründete Unión Patriotica, ein.
Im Dezember 1925 bildete Primo de Rivera ein Militärdirektorium, dem zivile Fachminister zugeordnet und verantwortlich waren. Zu den Schwerpunkten der Regierungsarbeit gehörten eine protektionistische Wirtschaftspolitik, die der Industrialisierung Spaniens diente, und eine Modernisierung der Infrastruktur durch den Bau von modernen Autostraßen, die Regulierung von Flüssen, die Anlage von Staudämmen und die künstliche Bewässerung trockener Regionen. Angestrebt wurde auch die Wiederaufforstung von Gebieten, die durch jahrhundertealte Abholzung verkarstet waren – eines der größten Umweltprobleme auch des heutigen Spanien. Eine mindestens ebenso drängende Aufgabe aber packte das Regime nicht an: eine Agrarreform. Sie hätte einen Konflikt mit den Großgrundbesitzern heraufbeschworen – einer Machtelite, auf deren Unterstützung Primo de Rivera nicht verzichten zu können glaubte.
Die Wünsche einer anderen wichtigen Gruppe nahm er weniger ernst: die des katalanischen Bürgertums. Es hatte sich 1923 nicht zuletzt deshalb auf die Seite des Generals gestellt, weil dieser als Anwalt regionaler Autonomie galt. Als er 1925 von diesem Programm abrückte, begann die Entfremdung zwischen ihm und einem wichtigen Träger seiner Herrschaft. Noch weniger Wert legte der General auf den Beifall der Intellektuellen, von denen viele, unter ihnen auch der Philosoph José Ortega y Gasset, 1923 Verständnis für den Militärputsch geäußert hatten. Die anfängliche Zustimmung ließ aber rasch nach, als der ganz und gar unintellektuelle Primo de Rivera sich öffentlich gegen oppositionelle Professoren und Studenten wandte und 1928 nach Protesten gegen das Regime sogar die Universität Madrid schließen ließ. Mehrere Professoren, auch Ortega, gaben daraufhin ihre Lehrstühle auf; der Philosoph Miguel Unamuno y Jugound der Historiker Gregorio Marañon y Posadillo gingen zeitweilig ins Exil.
Seit Beginn der Weltwirtschaftskrise im Herbst 1929 verschlechterte sich die ökonomische und finanzielle Lage Spaniens dramatisch. Im Januar 1930 trat Finanzminister José Calvo Sotelo zurück, weil er mit den Problemen von Staatsverschuldung, steigenden Preisen und Abwertung der Peseta nicht fertig wurde. Ein anderes Krisenzeichen war die offenkundige Hilflosigkeit der Regierung in der Verfassungsfrage. Auf Drängen des Königs hatte Primo de Rivera im September eine beratende Versammlung aus überwiegend konservativen Honoratioren einberufen, die knapp zwei Jahre später, im Juli 1929, einen Verfassungsentwurf vorlegte. Dieser wich von der Verfassung von 1876, deren Restauration kaum jemand wünschte, in wesentlichen Punkten ab, wurde aber von Liberalen, Monarchisten und Republikanern nahezu einhellig verworfen, da sie keine parlamentarisch verantwortliche Regierung vorsah. Aus einem anderen Grund lehnte der König den Entwurf ab: Die Autoren wollten ihm gewisse Prärogativen entziehen. Damit war das Schicksal der Vorlage
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