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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Verbündeten fand: Die einen wie die anderen dachten nicht daran, mit klassenkämpferischen Sozialisten gemeinsame Sache zu machen.
    Im Februar 1918 fanden Neuwahlen zu den Cortes, dem Parlament, statt, die, wie üblich, von den örtlichen «Kaziken» gesteuert und manipuliert wurden. Einen Monat später kam eine Große Koalition aus Konservativen und Liberalen unter Antonio Maura y Montanazustande, die sich aber infolge der unüberbrückbaren Gegensätze zwischen beiden Parteien nur knapp acht Monate an der Macht behaupten konnte. Es folgten kurzlebige Kabinette, die sich seit dem Frühjahr 1919 durch eine Streikbewegung der andalusischen Landarbeiter herausgefordert sahen, bei der erstmals bolschewistische Parolen wie Hochrufe auf Lenin und die Sowjets sowie die Forderung nach einer Kollektivierung des Bodens laut wurden. Die Unruhe hielt auch unter dem letzten Kabinett Dato an, das seit Mai 1920 amtierte und der Anarchie nicht nur mit Hilfe der Guardia Civil, sondern auch mit einer sozialpolitischen Offensive, darunter der Schaffung eines Arbeitsministeriums und der Einführung einer Sozialversicherung, Herr zu werden versuchte. Doch die radikale Linke überzeugte Dato damit nicht: Am 8. März 1921 wurde er von katalanischen Anarchisten in Madrid ermordet.
    In den Jahren 1919 bis 1921 schien Spanien mehr als einmal am Rand des Bürgerkrieges zu stehen. In Barcelona prallten immer wieder von den Unternehmern gedungene «pistoleros» und militante Anarchosyndikalisten aufeinander; in Andalusien kam es zu zahllosen Landbesetzungen. Gleichzeitig machte sich der Einfluß der russischen Bolschewiki geltend. Die sozialistische Dachgewerkschaft, die Unión General de Trabajadores (UGT), und der Partido Socialista Obrero Español (PSOE) lehnten einen Beitritt zur Dritten Internationale zwar mit unterschiedlichen Mehrheiten ab, konnten aber eine Spaltung der marxistischen Arbeiterbewegung nicht verhindern. Im April 1920 entstand eine erste, ein Jahr darauf eine zweite kommunistische Partei, die sich im März 1922 zum Partido Comunista de España (PCE) zusammenschlossen. Die anarchosyndikalistische Confederación Nacional de Trabajo (CNT) bekannte sich zwar zu einem Agrarkommunismus, sah aber in der russischen Oktoberrevolution kein Vorbild und verweigerte den Beitritt zur Dritten Internationale beziehungsweise der Roten Gewerkschafts-Internationale.
    1921 war zudem noch das Jahr einer verheerenden Niederlage der spanischen Streitkräfte in dem seit 1909 währenden, im Ersten Weltkrieg unterbrochenen Kolonialkrieg in Spanisch-Marokko: Der Aufstand der Rifkabylen unter Abd el-Karim erreichte im Juli 1921 einen blutigen Höhepunkt im «Desastre de Annual», bei dem Spanien mehr als 12.000 Soldaten verlor. Die internationale Erschütterung, die von diesem Ereignis ausging, trug wesentlich dazu bei, daß der Ruf nacheiner Ordnungsdiktatur, am besten einer des Militärs, auf immer mehr Widerhall stieß.
    Zwei Jahre später war es so weit: Am 13. September 1923 putschte, auf Drängen einer Gruppe hoher Madrider Offiziere und, vor allem, führender Kreise des katalanischen Großbürgertums, der Generalkapitan von Barcelona, Miguel Primo de Rivera, gegen die Regierung des Ministerpräsidenten Manuel García Prieto. Da die Regierung sich ihres Rückhalts im Militär unsicher war, trat sie zurück, woraufhin Alfons XIII. Primo de Rivera mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragte. Die Entscheidung des Monarchen war ein Nein zum Bürgerkrieg und ein Ja zur Militärdiktatur.
    Damit war der Putsch formal legalisiert. Die faktische Legitimation des neuen Regimes war zunächst eine rein negative: das Versagen des parlamentarischen Systems, das nicht imstande gewesen war, das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen und damit die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten. Die Tatsache, daß das «pronunciamiento» (der spanische Begriff für Militärrevolte) ein seit langem nicht mehr funktionstüchtiges System beseitigte, verschaffte dem Staatsstreich eine überwiegend positive Resonanz in der Presse und der öffentlichen Meinung. Das galt auch für die erste Amtshandlung der Regierung Primo de Rivera: die Suspension einiger der wichtigsten Grundrechtsartikel der Verfassung von 1876, darunter jener, die die Presse-, die Versammlungs- und die Vereinigungsfreiheit garantierten.
    Die wichtigsten gesellschaftlichen Stützen der Militärdiktatur waren die Großgrundbesitzer, die katalanische Industriebourgeoisie und

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