Geschichte des Westens
U-Boot-Krieg gegen Handelsschiffe sei ein Krieg gegen die Menschheit und alle Nationen, sagte er und ließ bei seinen Landsleuten keinen Zweifel über die Folgen für jeden einzelnen Amerikaner aufkommen: Der Krieg, den Deutschland gegen die Regierung und das Volk der Vereinigten Staaten führe, werde die USA zur Einführung der allgemeinen Wehrpflicht zwingen. In dem nun unvermeidlich gewordenen Krieg sei es das Ziel Amerikas, die Prinzipien des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt gegen eine selbstsüchtige und autokratische Macht zu verteidigen und unter den wahrhaft freien, sich selbst regierenden Völkern ein solches Einvernehmen in Absicht und Tat (such a concert of purpose and action) herzustellen, das fortan diese Prinzipien sichere.
Der Höhepunkt der Ansprache war die visionäre Beschwörung einer künftigen Welt ohne Krieg und Unterdrückung. Amerika kämpfe für den endgültigen Frieden der Welt und für die Befreiung ihrer Völker, einschließlich des deutschen Volkes, für die Rechte der Völker, ob groß oder klein, für das Vorrecht aller Menschen, über ihre Lebensweise und ihr Regierungssystem selbst zu entscheiden (to choose their way of life and of obedience). «Die Welt muß zu einem sicheren Ort für die Demokratie gemacht werden (The world must be made safe fordemocracy). Ihr Friede muß auf den erprobten Grundlagen der Freiheit beruhen. Wir suchen keine Wiedergutmachung für uns selbst, keine materielle Entschädigung für Opfer, die wir aus freien Stücken erbringen. Wir sind nur einer der Vorkämpfer der Rechte der Menschheit (We are but one of the champions of the rights of mankind). Wir werden zufrieden sein, wenn diese Rechte so sicher gemacht worden sind, wie sie der Glaube und die Freiheit der Völker nur sicher machen können.»
Wäre am 15. März 1917 nicht das russische Zarentum gestürzt worden, hätte Wilson nicht zweieinhalb Wochen später jenen Aufruf zur Demokratisierung der Welt vortragen können, der seine Kongreßrede vom 2. April in die Geschichtsbücher eingehen ließ. Erst seit dem März 1917 konnte der Erste Weltkrieg als ideologischer Kampf zwischen Freiheit und Unterdrückung geführt werden, und nur weil dem so war, genoß die Entscheidung für den Kriegseintritt breiteste Unterstützung in den USA. Die Ideale von 1776 weltweit zu verwirklichen und sich selbst so eine globale Führungsrolle zu verschaffen war seit jeher eine starke Triebkraft der amerikanischen Politik gewesen. Was diesem Bedürfnis Zügel anlegte, war die ebenso alte Einsicht, daß Amerika durch Verstrickungen in Händel der alten Welt schweren Schaden nehmen würde.
Anders war die Lage, wenn eine europäische Macht oder Mächtekoalition die Vereinigten Staaten so herausforderte, daß eine massive Antwort unausweichlich wurde. Diese Situation trat infolge von Deutschlands Rückkehr zum uneingeschränkten U-Boot-Krieg Anfang 1917 ein. Wilson mobilisierte daraufhin eine Ressource, ohne die sich der Kampf gegen die Mittelmächte nicht erfolgreich führen ließ: die moralischen Energien Amerikas. Das Bekenntnis zum Recht der Völker auf Selbstregierung, zu den Menschenrechten und zur Demokratie hatte aber auch alle Aussicht, einen starken Widerhall bei den Polen und allen slawischen Völkern der Donaumonarchie zu finden. Und nicht zuletzt durfte Wilson hoffen, die Deutschen zu beeindrucken, wenn er versicherte, daß die Vereinigten Staaten keinen Krieg gegen das deutsche Volk führten, sondern auch seine Befreiung anstrebten.
Bevor es den Vereinigten Staaten gelang, etwas für die Sache der Freiheit in Europa zu tun, wurde zunächst einmal die Freiheit in Amerika drastisch eingeschränkt. Das geschah in einem Ausmaß, das dasdeutsche Kaiserreich um dieselbe Zeit fast schon «liberal» erscheinen ließ. Die Presse war gehalten, die regierungsamtliche Kriegspropaganda gegen Deutschland nachzudrucken und Selbstzensur zu üben; nicht-englischsprachige Zeitungen, vorneweg die auf deutsch erscheinenden, mußten Artikel, die den Krieg betrafen, vor der Veröffentlichung einem Zensor vorlegen. Der Espionage Act vom Juni 1917 und das Anti-Aufruhr-Gesetz (Sedition Act) vom Mai 1918 enthielten dehnbare Bestimmungen, mit deren Hilfe jede Art von Opposition gegen den Krieg, ja gegen den Präsidenten und die Regierung unterbunden werden konnte. Zu den betroffenen Organisationen gehörten die linksstehende Gewerkschaft Industrial Workers of the World (IWW) und die Sozialistische Partei; ihr langjähriger
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