Geschichte des Westens
des «4. Mai» 1919 beeinflußt war, zog aus dem Debakel seine Lehren. Er war bereits 1925 zu der Einsicht gelangt, daß die Kommunisten nur durch eine Revolutionierung der Bauern die Macht in China erobernkonnten. Noch 1927 drängte er die KP zur Aufstellung eigener Streitkräfte und begann, erst im Jingjang-Gebirge, dann, nach der Vertreibung von dort, an der Grenze zwischen den Provinzen Jiangxi und Fujian in Südwestchina eine kommunistische Ordnung zu errichten. Im November 1931 wurde in dieser Region der erste kommunistische Staat Chinas, die «Sowjetrepublik Jiangxi», mit Mao als Staatschef ausgerufen.
Mit der Ausbootung der «Linken» hatte Stalins Bündnis mit der «Rechten» seinen Zweck erfüllt. Bereits um die Jahreswende 1927/28 zeichnete sich beim Generalsekretär der KPdSU eine Linksschwenkung ab. Zu den auslösenden Momenten der Kursänderung gehörte vor allem die Tatsache, daß die Ernteerträge vom Sommer 1927 beträchtlich hinter den überhöhten Erwartungen zurückblieben: Das Getreideangebot auf dem sowjetischen Binnenmarkt war um ein Viertel niedriger als im Vorjahr. Die meisten Kleinbauern produzierten ohnehin nur für den eigenen Bedarf, die Großbauern, die Kulaken, aber verlangten, ihre Marktmacht voll ausschöpfend, für ihre Erzeugnisse Preise, die für die Masse der Bevölkerung nicht erschwinglich waren. Das Zentralkomitee der KPdSU beschloß infolgedessen im Dezember 1927, «außergewöhnliche», wenn auch nur zeitweilige Maßnahmen gegen die Kulaken, um so die Engpässe in der Versorgung zu überwinden.
Mitte Februar 1928 gab Stalin in einem Brief an die KPdSU bekannt, die Kulaken würden nunmehr unter verschärften Druck gesetzt, damit mehr Getreide in die Städte gelange. Die Hortung von landwirtschaftlichen Produkten durch die Bauern wurde von Stalin nicht nur behauptet, sie fand tatsächlich statt. In der Sache bedeutete Stalins Brief eine radikale Abkehr von jener Bereicherung des Dorfes, die Bucharin ausdrücklich propagiert und die «Linke» scharf kritisiert hatte. Stalin war offensichtlich entschlossen, mit Bucharin, Rykow und Tomski zu brechen. Sein persönliches Motiv, die Steigerung der eigenen Macht, und der sachliche Grund, die Angst vor einer Hungersnot, waren bei der dramatischen Kursschwenkung von Anfang 1928 kaum voneinander zu trennen.
Praktische Maßnahmen, mit deren Hilfe Lebensmittel aus den Höfen der Kulaken herausgepreßt werden sollten, beschloß das Plenum des Zentralkomitees und der Zentralen Kontrollkommission der KPdSU Anfang April 1928. Kurz darauf gab Stalin vor dem ZK zuerkennen, daß es ihm um sehr viel mehr ging als nur um die Behebung einer akuten Versorgungskrise, nämlich um die rasche Kollektivierung der Landwirtschaft. Im Mai folgte eine weitere Ankündigung Stalins: Das Tempo der Industrialisierung sollte forciert, vor allem die Entwicklung der Schwerindustrie beschleunigt werden. Das Geld für die nötigen Investitionen konnte mangels anderer Quellen nur von den Kulaken kommen. Für die «rechten» Bolschewiki war nun kein Zweifel mehr möglich: Die Tage der 1921 von Lenin eingeleiteten Neuen Ökonomischen Politik, der kalkulierten Schonung des privaten Eigentums, waren, wenn Stalin sich durchsetzte, gezählt – und mit der NEP ihre eigenen Tage als Teilhaber der politischen Macht.
Die Wendung gegen die «Rechten» der KPdSU verlangte eine flankierende Absicherung im internationalen Maßstab. Auf dem 9. Plenum des Erweiterten Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale (EKKI) im Februar 1928 wurden die entsprechenden Parolen ausgegeben: Die Sozialdemokraten und die reformistischen Gewerkschaften waren fortan als die Hauptgegner der Kommunisten zu behandeln. Der Sechste Weltkongreß der Komintern, der vom 17. Juli bis 1. September 1928 in Moskau stattfand, diente ganz der internationalen Durchsetzung des neuen linken, von Kritikern bald «ultralinks» genannten Kurses.
Es war eine Ironie des Schicksals, daß ausgerechnet der «rechte» Bucharin als Generalsekretär der Kommunistischen Internationale die radikale Wendung nach links theoretisch untermauern mußte. Bucharin zufolge hatte weltweit eine neue historische Periode in der Nachkriegsentwicklung begonnen. Auf die Periode der akuten revolutionären Krise vom Frühjahr 1917 bis zum Herbst 1923 war eine Periode der teilweisen Stabilisierung des kapitalistischen Systems gefolgt, die jetzt abgeschlossen war. Die dritte Periode war die der kapitalistischen
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