Geschichte des Westens
erfüllen ließ, war zunächst keineswegs sicher. Im «Hindenburg-Ausschuß», der am 1. Februar 1932 zur Wiederwahl des greisen Feldmarschalls aufrief, wirkten neben anderen der Dichter Gerhart Hauptmann, der Maler Max Liebermann, der Vorsitzende des Reichsverbandes der Deutschen Industrie, Carl Duisberg, und zwei ehemalige Reichswehrminister, Otto Geßler und GustavNoske, mit. Von den Führern der nationalen Verbände und der Großlandwirtschaft aber hatte keiner den Aufruf unterzeichnet. Da der Stahlhelm, dem der Reichspräsident als Ehrenmitglied angehörte, kein Votum für den Amtsinhaber abgeben wollte, zögerte auch der Reichskriegerbund Kyffhäuser, sich zu Hindenburg, seinem Ehrenpräsidenten, zu bekennen. Erst am 14. Februar legte der Gesamtvorstand des Kyffhäuserbundes dann doch ein Treuebekenntnis zum Reichspräsidenten ab, und einen Tag später gab Hindenburg schließlich bekannt, daß er sich im Bewußtsein seiner «Verantwortung für das Schicksal unseres Vaterlandes» für eine etwaige Wiederwahl zur Verfügung stelle.
Die Erklärung Hindenburgs veranlaßte die Parteien der gemäßigten Rechten und der Mitte, sich öffentlich auf seine Seite zu schlagen. Die Harzburger Front brach hingegen auseinander. Stahlhelm und Deutschnationale wollten sich dem Führungsanspruch der Nationalsozialisten nicht unterwerfen und stellten am 22. Februar einen eigenen Kandidaten auf: den stellvertretenden Bundesführer des Stahlhelm, Theodor Duesterberg. Am gleichen Tag verkündete Joseph Goebbels, der Berliner Gauleiter der NSDAP, im Sportpalast: «Hitler wird unser Reichspräsident». Vier Tage später ließ sich der Führer der Nationalsozialisten zum Regierungsrat bei der braunschweigischen Gesandtschaft in Berlin ernennen – der Vertretung eines Landes, das seit Oktober 1930 von einem Koalitionskabinett aus Deutschnationalen und Nationalsozialisten regiert wurde. Damit erhielt der gebürtige Österreicher, seit April 1925 staatenlose Adolf Hitler, was ihm für eine Bewerbung um das Amt des Reichspräsidenten noch fehlte: die deutsche Staatsbürgerschaft.
Auf der äußersten Linken gab es bereits seit dem 12. Januar einen Präsidentschaftsbewerber: Ernst Thälmann. Von ihm erwarteten Komintern und deutsche Parteiführung, daß er, sollte sich die SPD für die Unterstützung Hindenburgs entscheiden, einen erheblichen Teil der sozialdemokratischen Arbeiter zu sich herüberziehen würde. Ganz abwegig war dieses Kalkül nicht. Denn auch wenn die Mitglieder und Anhänger der SPD seit dem Beginn der Tolerierungspolitik im Oktober 1930 vieles mitgetragen hatten, was den überkommenen Vorstellungen der Partei strikt zuwiderlief, so mußte eine Wahlempfehlung für den überzeugten Monarchisten Hindenburg vielen Sozialdemokraten doch als Zumutung sondergleichen erscheinen.
Am 26. Februar 1932, dem letzten Tag einer kurzen, wiederum turbulenten Reichstagssession, gab die SPD offiziell ihre Entscheidung für Hindenburg bekannt. Am 13. März 1932, dem Tag der Reichspräsidentenwahl, so hieß es im Aufruf des Parteivorstands, stehe das deutsche Volk vor der Frage, ob Hindenburg bleiben oder durch Hitler ersetzt werden solle. «Hitler statt Hindenburg, das bedeutet: Chaos und Panik in Deutschland und ganz Europa, äußerste Verschärfung der Wirtschaftskrise und der Arbeitslosennot, höchste Gefahr blutiger Auseinandersetzungen im eigenen Volke und mit dem Ausland. Hitler statt Hindenburg, das bedeutet: Sieg des reaktionärsten Teils der Bourgeoisie über die fortgeschrittensten Teile des Bürgertums und über die Arbeiterklasse, Vernichtung aller staatsbürgerlichen Freiheiten, der Presse, der politischen, gewerkschaftlichen und Kulturorganisationen, verschärfte Ausbeutung und Lohnsklaverei … Schlagt Hitler! Darum wählt Hindenburg!»
Der leidenschaftlichste Streiter für Hindenburg im eigentlichen Regierungslager war der Reichskanzler. Am 11. März zeichnete Brüning auf seiner letzten großen Wahlkundgebung im Berliner Sportpalast vom Reichspräsidenten ein Bild, das einer Apotheose gleichkam. Er möchte den Menschen finden, sagte der Kanzler, der in gleicher Weise wie Hindenburg in der Lage sei, «die Dinge scharf und schnell zu durchschauen und ihnen in wenigen Sätzen eine klassische Formulierung zu geben.» Brüning rechnete Hindenburg zu den «wirklichen Führern» und den «von Gott gesandten Männern», nannte ihn das «Symbol deutscher Kraft und Einheit in der ganzen Welt» und schloß mit dem
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