Geschichte des Westens
diese in den Augen der SPD erträglich erscheinen zu lassen. Schachts Ausführungen zur Währungspolitik inspirierten den «Vorwärts» am 12. Oktober zu der Schlagzeile «Die Harzburger Inflationsfront». Mit Brüning, der sich ebenfalls scharf gegen alle Experimente mit der Währung aussprach, gab es in diesem Punkt volle Übereinstimmung. In der kurzen Reichstagssession, die zwei Tage nach dem Harzburger Treffen begann, konnte sich der Reichskanzler abermals auf die SPD stützen. Mit ihren Stimmen wurden am 16. Oktober alle Mißtrauensanträge abgelehnt.
Brüning nutzte die Wiederbefestigung seiner Position, um am 9. Dezember eine neue Notverordnung zu erlassen, die unter massivem Eingriff in die Tarifautonomie und die unternehmerische Freiheit Lohn- und Preissenkungen derart miteinander verband, daß die Massenkaufkraft nicht wesentlich abnahm und die Absatzchancen deutscher Erzeugnisse im Ausland wieder stiegen. Der Reichskanzler reagierte damit auch auf die Abkehr Großbritanniens vom Goldstandard am 21. September 1931, die zu einer Abwertung des Pfundes Sterling gegenüber der Reichsmark um etwa 20 Prozent und entsprechenden Vorteilen für die britische Ausfuhr geführt hatte. Auf den Londoner Schritt mit einer Abwertung der Reichsmark zu antworten, verbot sich aus Brünings Sicht nicht nur auf Grund des deutschen Inflationstraumas, sondern auch wegen der Abhängigkeit des Reiches von amerikanischen Krediten, der deutschen Reparationsverpflichtungen und nicht zuletzt aus Gründen des nationalen Prestiges.
Eine kreditfinanzierte Arbeitsbeschaffung, wie sie seit dem Sommer 1931 Teile der Wirtschaft und seit dem Dezember auch Experten des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes forderten, lehnte der Kanzler nach wie vor kategorisch ab. Sie hätte nicht nur seiner Grundüberzeugung von der Unabdingbarkeit eines ausgeglichenen Haushalts, sondern auch seinen außenpolitischen Prioritäten widersprochen. Deutschland durfte nicht den Eindruck erwecken, als verfüge es noch über finanzielle Ressourcen, weil sonst das Argument an Durchschlagskraft verloren hätte, die Reparationslast erdrossele die deutsche Wirtschaft. Das Ende der Reparationen aber war das Nahziel, das Deutschland erreichen mußte, um auch alle anderen Fesseln von Versailles, nicht zuletzt die militärischen, abstreifen und seinen alten Großmachtstatus wiedergewinnen zu können.
Als sich Ende 1931 die Chance eines Kompromisses in der Reparationsfragebot, griff Brüning deshalb nicht zu. Am 22. Dezember stimmte der amerikanische Senat nach zäher Debatte dem Hoover-Moratorium zu. Am folgenden Tag legte der Beratende Sonderausschuß der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel einen Bericht vor, um den ihn die Reichsregierung, der im Young-Plan vorgesehenen Prozedur entsprechend, im November gebeten hatte. Das Gremium kam zu dem Ergebnis, daß, um neues Unheil zu vermeiden, alle zwischenstaatlichen Schulden, also auch die deutschen Reparationen, unverzüglich der gegenwärtigen zerrütteten Lage der Welt angepaßt werden müßten.
Das war nicht mehr und nicht weniger als ein Plädoyer für eine Totalrevision des Young-Plans. Doch Brüning hatte an der Reparationskonferenz, die auf Grund dieses Berichts Anfang 1932 in Lausanne stattfinden sollte, gar kein Interesse, weil sie aus seiner Sicht nur zu einem neuen Moratorium und einer Minderung der Reparationslast, also zu einer halben und provisorischen Lösung, nicht aber zu dem erstrebten definitiven und vollständigen Ende der Reparationszahlungen führen konnte. Die Reichsregierung setzte darum auf einen Aufschub der Konferenz, und sie hatte damit Erfolg: Am 20. Januar 1932 wurde das Treffen, das am 25. Januar hatte beginnen sollen, abgesagt. Der innenpolitische Preis dieser außenpolitischen Entscheidung war gewaltig: Der rigorose Deflationskurs wurde unvermindert fortgesetzt; die soziale Verelendung und die politische Radikalisierung schritten weiter fort.
Innenpolitisch drehte sich in Deutschland zu Beginn des Jahres 1932 alles um die im Frühjahr fällige Reichspräsidentenwahl. Für Brüning stand von Anfang an fest, daß der inzwischen vierundachtzigjährige Amtsinhaber erneut antreten mußte, um den Sieg eines extremen Nationalisten, womöglich eines Nationalsozialisten, zu verhindern. Hindenburg selbst wollte sich freilich nur dann einer Volkswahl stellen, wenn er sich eines ausreichenden Rückhalts auf der Rechten sicher sein konnte.
Ob diese Bedingung sich
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