Geschichte des Westens
Ausruf: «Hindenburg muß siegen, weil Deutschland leben muß.»
Am späten Abend des 13. März 1932 stand fest, daß es einen zweiten Wahlgang geben würde: Mit 49,6 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen hatte Hindenburg die erforderliche absolute Mehrheit knapp verfehlt. Hitler war mit 30,1 Prozent Zweiter geworden, mit weitem Abstand gefolgt von Thälmann, auf den 13,2 Prozent entfielen, und Duesterberg, der es auf 6,8 Prozent brachte.
173.000 Stimmen hätten genügt, um dem amtierenden Reichspräsidenten zum Sieg zu verhelfen. Anders als 1925 schnitt er überall dort gut ab, wo die Sozialdemokraten ihre Hochburgen hatten und der Bevölkerungsanteil der Katholiken überdurchschnittlich groß war. In den evangelisch-agrarischen Gebieten dagegen, in denen er siebenJahre zuvor überlegen gesiegt hatte, lagen seine Ergebnisse weit unter dem Reichsdurchschnitt. Wenn man von Bayern absah, verlor Hindenburg bei seinen Stammwählern, während er bei seinen früheren Gegnern gewann.
Hitler hatte zwar 5 Millionen Stimmen mehr erobert als seine Partei bei der letzten Reichstagswahl im September 1930, aber dennoch nur geringe Chancen, Hindenburg in dem nun notwendig gewordenen zweiten Wahlgang zu schlagen. Die Kommunisten entschieden sich, Thälmann abermals ins Rennen zu schicken. Getreu einer Weisung Stalins vom November 1931, wonach der «Hauptstoß in der Arbeiterklasse» gegen die Sozialdemokratie zu richten sei, unterstrich die KPD den wichtigsten Zweck der «Kampfkandidatur des Genossen Thälmann»: Es gelte, «den Charakter der SPD als des gemäßigten Flügels des Faschismus und des Zwillingsbruders des Hitlerfaschismus klar zum Bewußtsein zu bringen». Duesterberg trat zum zweiten Wahlgang nicht mehr an. Der Stahlhelm empfahl Stimmenthaltung; die Deutschnationalen schlossen für sich eine aktive Beteiligung am zweiten Wahlgang aus.
Der Tag des zweiten Wahlgangs war der 10. April 1932. Am Abend stand fest, daß der bisherige Reichspräsident einen klaren Auftrag für eine zweite Amtsperiode erhalten hatte. Auf Hindenburg entfielen 53 Prozent, auf Hitler 36,8 Prozent auf Thälmann 10,2 Prozent. Der Sieg Hindenburgs war vor allem eines: ein Ergebnis der sozialdemokratischen Tolerierungspolitik. Hätten die Anhänger der SPD nicht seit dem Herbst 1930 Gelegenheit gehabt, sich an eine «Politik des kleineren Übels» zu gewöhnen, wären sie im Frühjahr 1932 kaum davon zu überzeugen gewesen, daß sie einen eingefleischten Monarchisten an die Spitze der Republik wählen mußten, um die nationalsozialistische Diktatur zu verhindern. Ebendies war die Alternative der Reichspräsidentenwahl: Außer dem Feldmarschall gab es niemanden, der in der Lage war, über den verbliebenen Anhang der einstigen Weimarer Koalition hinaus einen Teil der traditionellen Rechten an sich zu binden und damit Hitler auf den zweiten Platz zu verweisen. Daß Hindenburg kein Mann der Demokratie war, wußten die Sozialdemokraten so gut wie irgend jemand sonst. Doch bislang hatte sich der zweite Reichspräsident der Weimarer Republik als ein Mann von Recht und Gesetz erwiesen, der auch die ungeliebte Verfassung respektierte. Mehr war, wie die Dinge lagen, bei den Reichspräsidentenwahlen desJahres 1932 von Weimar nicht mehr zu retten. Gemessen an dem, was am 10. April nochmals vermieden wurde, nämlich die Proklamation des «Dritten Reiches», war es viel.
Doch dem Sieger bereitete das Ergebnis des zweiten Wahlgangs keine reine Freude. Hindenburg schmerzte es tief, daß er seinen Erfolg nicht der Rechten, sondern in erster Linie Sozialdemokraten und Katholiken zu verdanken hatte. Seinen Groll ließ er an dem Mann aus, der sein aktivster Wahlkämpfer gewesen war: Heinrich Brüning. Einen Anlaß, dem Kanzler Vorwürfe zu machen, bot das Verbot von Hitlers Privatarmeen, SA («Sturmabteilungen») und SS («Schutzstaffeln»), durch die «Notverordnung zur Sicherung der Staatsautorität» vom 13. April. Das Verbot ging auf das Betreiben der wichtigsten Länder – Preußen, Bayern, Württemberg, Baden, Hessen und Sachsen – zurück und stützte sich auf Material über die geheime Militärpolitik der Nationalsozialisten, das die preußische Polizei bei Hausdurchsuchungen Mitte März sichergestellt hatte.
Unter dem Eindruck dieses Materials hatte zunächst auch General von Schleicher, der Chef des Ministeramtes im Reichswehrministerium, das Verbot von SA und SS befürwortet. Aber noch vor dem zweiten Wahlgang der
Weitere Kostenlose Bücher