Geschichte des Westens
Geringeres bedeutete als die Aufhebung des Goldstandards für die Privatwirtschaft. Die drastische Erhöhung des Diskont- und des Lombardsatzes hatte fatale Auswirkungen auf die daniederliegende Konjunktur. Die Sanierung der Banken, die einer teilweisen Verstaatlichung gleichkam, erfolgte mit Steuermitteln.
Im September 1931 mußte die Regierung Brüning eine schwere außenpolitische Niederlage hinnehmen: Das von Stresemanns Nachfolger, Außenminister Curtius, zusammen mit dem Wiener Bundeskanzler und Außenminister Schober initiierte Projekt einer deutsch-österreichischen Zollunion scheiterte, wovon in anderem Zusammenhang schon die Rede war, am Internationen Gerichtshof in Den Haag. Curtius und sein Staatssekretär Bernhard von Bülow hatten in voller Übereinstimmung mit Brüning in der Zollunion ein Mittel gesehen, den deutschen Einfluß in Mittel- und Südosteuropa zu festigen und einer späteren staatlichen Vereinigung der beiden deutschsprachigen Länder den Weg zu ebnen; eben darum war das Vorhaben auf massiven französischen Widerstand gestoßen.
Nach dem demütigenden Fehlschlag seiner Österreichpolitik war Curtius’ Position als Außenminister unhaltbar geworden. Am 3. Oktober bat er den Kanzler, seine Entlassung zu beantragen. Doch inzwischen ging es nicht mehr nur um einen Wechsel an der Spitze des Auswärtigen Amtes. Bereits im September hatten erst General von Schleicher, Chef des Ministeramtes im Reichswehrministerium und politischer Berater Groeners, und dann Hindenburg den Kanzler zu einer kräftigen Wendung nach rechts aufgefordert. Diesem Drängen versuchte Brüning am 9. Oktober mit einer Kabinettsumbildung nachzukommen. Das Amt des Außenministers übernahm er selbst; Reichswehrminister Groener wurde in Personalunion kommissarischer Innenminister und damit Nachfolger des «linken» Zentrumspolitikers und früheren Reichskanzlers Joseph Wirth; der hochkonservative Staatssekretär Curt Joël rückte zum Justizminister auf.
Die DVP, die Partei von Curtius, war im zweiten Kabinett Brüningnicht mehr vertreten. Ihr schwerindustrieller Flügel hatte am 3. Oktober verlangt, die Partei solle in die Opposition überwechseln und im Reichstag einen Mißtrauensantrag gegen die Regierung einbringen. Eine Woche später beschlossen Parteiausschuß und Reichstagsfraktion, einen solchen Antrag zu stellen. Ein Jahr nach Beginn der Tolerierungspolitik erhielt der Kanzler somit die Quittung dafür, daß er genötigt war, den Sozialdemokraten, von deren parlamentarischer Duldung er abhing, gelegentlich soziale Zugeständnisse zu machen: Der rechte Flügel des Unternehmerlagers vollzog den Bruch mit Brüning, weil seine Politik der industriellen Rechten nicht rechts genug war.
Am 11. Oktober 1931 hätte für den konservativen Teil der Ruhrindustrie die Gelegenheit bestanden, noch einen Schritt weiter zu gehen und sich vor aller Öffentlichkeit in die «nationale Opposition» einzureihen. Auf diesen Tag hatten die Parteien und Verbände der entschiedenen Rechten zu einer Heerschau nach Bad Harzburg aufgerufen. Doch außer Ernst Brandi, einem der Kohlebergwerksdirektoren der Vereinigten Stahlwerke, nahm an diesem von Alfred Hugenberg angeregten Treffen kein bekannter Großindustrieller teil. Offenbar scheuten auch die härtesten Kritiker Brünings in der Unternehmerschaft noch davor zurück, sich vorbehaltlos der radikalen Rechten anzuschließen.
An der «Harzburger Front» beteiligten sich NSDAP, DNVP, Stahlhelm, Reichslandbund und Alldeutscher Verband sowie zahlreiche Mitglieder ehedem regierender Häuser, der frühere Chef der Heeresleitung, General von Seeckt, der seit 1930 Reichstagsabgeordneter der DVP war, und der ehemalige Reichsbankpräsident Schacht, der im März 1930 aus Protest gegen den Young-Plan von seinem Amt zurückgetreten war. Schacht gelang es, mit Angriffen auf die Reichsbank eine tagelange hektische Debatte auszulösen. Hitler, der tags zuvor erstmals von Hindenburg empfangen worden war, erregte vor allem deshalb Aufsehen, weil er, als nach dem Vormarsch seiner SA Formationen des Stahlhelm folgten, demonstrativ die Tribüne verließ, um so auf bewußt provozierende Weise seine Unabhängigkeit von der «alten» Rechten zur Schau zu stellen.
Der Ablauf der Harzburger Tagung erleichterte es den Sozialdemokraten, sich mit dem deutlich nach rechts gerückten zweiten Kabinett Brüning abzufinden. Daß die «faschistische Reaktion» die Reichsregierungmassiv angriff, genügte fast schon,
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