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Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
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Wortführer Robert Aron im Dezember 1932 in den Worten zusammenzufassen: «Wir stehen weder rechts noch links, aber wenn man uns unbedingt in der parlamentarischen Begrifflichkeit einordnen will, so betonen wir, daß wir uns in der Mitte zwischen der extremen Rechten und der extremen Linken befinden, hinter dem Präsidenten und mit dem Rücken zur Nationalversammlung.»
    Daß die Position des Ordre Nouveau keine der politischen Mitte, sondern eine der Rechten war, machten Aron und sein Mitstreiter, der Literaturkritiker Arnau Dandieu, in zwei Schriften aus dem Jahr 1931 mit den bezeichnenden Titeln «Décadence de la Nation Française» und «Le cancer Américain» (Der amerikanische Krebs) deutlich. Die beiden Autoren sahen Europa sowohl durch den russischen Bolschewismus wie durch den amerikanischen Kapitalismus bedroht. Das Hoover-Moratoium erschien ihnen als ein Versuch, den alten Kontinent der hegemonialen Kontrolle der «neuen Welt» zu unterwerfen. Frankreichs Mission war die Rettung des Abendlandes, was aber zunächst eine radikale innenpolitische Wende, eine Abkehr vom Parlamentarismus und die Stärkung der Präsidialgewalt, verlangte. Einig war sich diejunge Rechte im «Antibriandismus»: 1931 unterzeichneten 202 Intellektuelle ein «Manifest der jungen ‹wehrfähigen› Intellektuellen gegen die Demission Frankreichs», das sich scharf gegen eine weitere Aushöhlung der Friedensordnung von 1919 und die Gefahr einer neuen Teilung Polens aussprach.
    Einige Gruppen der jungen französischen Rechten wie der Ordre Nouveau unterhielten dessen ungeachtet enge Verbindungen zur intellektuellen Rechten Deutschlands bis hin zu jungen Nationalsozialisten wie Otto Abetz, der während des Zweiten Weltkriegs deutscher Botschafter im besiegten Frankreich werden sollte. Ein maßgeblicher Vertreter dieser «prodeutschen» Strömung war Marc Alexandre, der eigentlich Marc-Alexandre Lipiansky hieß, aus einer jüdischen Familie in Odessa stammte, nach der russischen Oktoberrevolution mit seiner Familie nach Frankreich geflüchtet war und in Deutschland Philosophie studiert hatte. Am stärksten beeinflußten ihn Max Schelers «ethischer Personalismus» und das 1931 erschienene Buch des Breslauer Universalhistorikers Eugen Rosenstock-Huessy «Die europäischen Revolutionen und der Charakter der Nationen», das den weltgeschichtlichen Rang der Französischen Revolution von 1789 erheblich relativierte. Mit der Kritik an der Französischen Revolution und ihrem Zentralismus ging bei Marc wie bei Aron und Dandieu das Eintreten für die Autonomie der Regionen einher, wobei sich Berührungspunkte mit dem Neothomismus Jacques Maritains und zumal mit dem Subsidiaritätsprinzip der katholischen Soziallehre ergaben, wie sie Papst Pius XI. 1931 in der Enzyklika «Quadragesimo anno» weiterentwickelt hatte.
    Mit den Autoren der «Konservativen Revolution» in Deutschland, denen Rosenstock-Huessy freilich nur bedingt zuzurechnen war, hatten Ordre Nouveau und Jeune Droite vieles gemeinsam: die antiparlamentarische Ausrichtung, das wohlwollende Interesse am italienischen «stato corporativo», den dezidierten Antiliberalismus und Antimarxismus, die Kritik am Rationalismus der Aufklärung, am östlichen Materialismus und westlichen Utilitarismus. In einem wesentlichen Punkt aber unterschieden sich die französische und die deutsche junge Rechte: Es gab in Frankreich kein Gegenstück zur Kriegsverherrlichung rechts des Rheins.
    Der Erste Weltkrieg wirkte in Frankreich als Trauma und als Mahnung nach – als
das
Ereignis, das sich auf keinen Fall wiederholendurfte. Was die Franzosen aller politischen Richtungen beunruhigte, war die demographische Stagnation, die das Land gegenüber dem bevölkerungsreichen und geburtenstarken Deutschland ins Hintertreffen brachte. Um 1930 hatte nur ein starkes Drittel (35 Prozent) der französischen Familien drei und mehr Kinder. Der Prozentsatz der Personen über 60 Jahre war in Frankreich mit 13,5 Prozent sehr viel höher als in Deutschland, Großbritannien oder in Italien, wo er bei etwa 9 Prozent lag. Der «Malthusianismus», die Angst vor der Überbevölkerung, war immer noch weit verbreitet. Seinen Bevölkerungszuwachs (von 39,2 Millionen im Jahr 1919 auf knapp 42 Millionen 1939) verdankte Frankreich ausschließlich der Einwanderung aus europäischen Ländern und aus Nordafrika. Von einem Krieg befürchtete man einen neuen furchtbaren Aderlaß. Für einen Bellizismus, wie er auf der Rechten im

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