Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
Vom Netzwerk:
Beginn des Wegs in die Katastrophe.
    Richtig ist, daß die parlamentarische Demokratie von Weimar bereits gescheitert war, als Brüning am 30. März 1930 Kanzler wurde. Nach dem Zerbrechen der Großen Koalition war der Übergang zum offenen Präsidialsystem nur noch eine Frage der Zeit. Brüning wurde zum Exekutor einer Politik, deren Grundrichtung in letzter Instanz vom Reichspräsidenten und seiner Umgebung bestimmt wurde. Auf wirtschaftspolitischem Gebiet vertrat der Kanzler bis in die zweite Hälfte des Jahres 1931 hinein den partei- und lagerübergreifenden Sanierungskonsens, der auf Deflation hinauslief. Bis zur Jahreswende 1931/32 gab es überdies ein objektives Hindernis, das einer anderen, einer antizyklischen Konjunkturpolitik entgegenstand: das ungelöste Reparationsproblem. Erst nachdem klar war, daß eine Rückkehr zum Young-Plan ausschied, hätte Brüning seinen wirtschafts- und finanzpolitischen Kurs ändern können. Doch das wollte der Reichskanzler nicht, weil er aus Gründen des nationalen Prestiges und weiterreichender außenpolitischer Ziele einen Kompromiß in der Reparationsfrage ablehnte. Vermutlich hätte Brüning eine weniger revisionistische Außenpolitik 1931/32 aber auch gar nicht mehr treiben können: Er wäre damit höchstwahrscheinlich am Veto Hindenburgs gescheitert.
    Die Stellung des Reichspräsidenten war so stark, daß die Frage nach Brünings eigenen langfristigen Zielvorstellungen nur bedingt von Interesse ist. Im Exil und in seinen 1970, kurz nach seinem Tod, erschienenen Memoiren hat der Reichskanzler der Jahre 1930 bis 1932 behauptet, er habe zielstrebig auf die Wiederherstellung der Monarchie hingearbeitet und damit eine Barriere gegen eine Diktatur der Nationalsozialisten errichten wollen. An Brünings Sympathie für das 1918 untergegangene Kaiserreich gibt es keinen Zweifel. Doch wenn er wirklich während seiner Regierungszeit die Restauration der Hohenzollernmonarchie betrieben hätte, müßten sich dafür Belege finden lassen, und die fehlen. Die nachträgliche Darstellung war offenkundig eine Selbststilisierung: Brüning wollte sich ein Monument als konservativer Staatsmann mit weitreichenden Perspektiven setzen.
    Tatsächlich war Brüning der halb willige, halb unfreiwillige Vollstrecker einer Politik, die sich mit «konservativ» nicht hinreichend beschreiben läßt. Das eigentliche Machtzentrum der späten Weimarer Republik bestand aus Hindenburg und seiner Kamarilla. Was sie anstrebten, lief zunehmend auf einen autoritären Staat hinaus, in dem der Wille des Volkes nur noch gedämpft zur Geltung kommen sollte. Brüning hingegen wollte sich mit einer Beschränkung der Parlamentsrechte, vor allem was ausgabenwirksame Beschlüsse anging, begnügen (und setzte dieses durchaus zweckmäßige Reformvorhaben im Februar 1931 auch durch). Er hielt die Nationalsozialisten für zähmbar, knüpfte an ihre Regierungsbeteiligung jedoch Bedingungen, die diese nicht annehmen konnten, ohne ihr Wesen radikal zu ändern. Er befürwortete, ebenso wie der Parteivorsitzende des Zentrums, Prälat Kaas, eine Rechtsschwenkung der deutschen Politik, wollte dabei aber strikt verfassungskonform bleiben. Als Hindenburg und sein Kreis sich im Frühjahr 1932 entschlossen, jede Rücksichtnahme auf die tolerierende Sozialdemokratie fallen zu lassen und dem Nationalsozialismus weiter entgegenzukommen, als Brüning dies für verantwortbar hielt, mußte der Zentrumskanzler gehen.
    Der Sturz Brünings war ein tiefer historischer Einschnitt. Am 30. Mai 1932 endete die erste, gemäßigte, parlamentarisch tolerierte Phase des Präsidialsystems. Es begann eine zweite, autoritäre, offen antiparlamentarische Phase. Reichswehrführung und Rittergutsbesitz, die den Regimewechsel mit herbeigeführt hatten, wollten die Nationalsozialisten gewissermaßen als Juniorpartner engagieren – nicht um sie herrschen zu lassen, sondern um sie in einen Rückhalt ihrer eigenen Herrschaft zu verwandeln. Die Erfüllung von Hitlers Bedingungen für die Hinnahme eines Rechtskabinetts schloß die Auflösung eines Reichstags in sich, dessen Legislaturperiode erst im September 1934 endete. Wäre die Wahl eines neuen Reichstags zu jenem Zeitpunkt erfolgt, hätte Deutschland anders ausgesehen als im Sommer 1932. Im Gefolge der wirtschaftlichen Erholung, mit der man rechnen durfte, wäre die Arbeitslosigkeit und mit ihr der Zulauf zu den extremen Parteien zurückgegangen. Mit dem Übergang vom gemäßigten zum

Weitere Kostenlose Bücher