Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geschichte des Westens

Geschichte des Westens

Titel: Geschichte des Westens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich August Winkler
Vom Netzwerk:
Ausgleich der Gegensätze bedachten konservativen Parteiführer Baldwin empfanden.
    Daß Baldwin die schrittweise Entlassung Indiens in die Unabhängigkeit unterstützte, die MacDonald mit den Round-Table-Gesprächen von 1930 und 1931 anstrebte, stieß nicht nur bei den Neo-Tories, sondern auch bei konservativen «diehards» wie Lord Lloyd, dem früheren Gouverneur von Bombay und nachmaligen Hohen Kommissar in Ägypten und Sudan, und Winston Churchill auf empörte Ablehnung. Der letztere schied im Januar 1931 aus Protest gegen die Indienpolitik aus dem Schattenkabinett Balfours aus. Lord Lloyd erregte im November 1933 Aufsehen mit einem radikal konservativen Forderungskatalog, in dem er unter anderem Autarkie für das Empire und einen nationalen Arbeitsdienst verlangte. Zu dem von den Neo-Tories erhofften Griff nach der Macht, einem Parteiputsch gegen Baldwin, aber war er nicht bereit.
    Publizistische Unterstützung erhielten die konservativen Kritiker Baldwins von den Presselords Beaverbrook und Rothermere. Über ihre Zeitungen und die im Februar 1931 von ihnen gegründete United Empire Party agitierten sie für die Umwandlung des Empire in eineFreihandelszone und gegen jede weitere Schwächung des britischen Weltreichs. Die beiden Pressemagnaten, die mit ihren auflagenstarken Massenblättern, an ihrer Spitze Beaverbrooks «Daily Express» und Rothermeres «Daily Mail», ein Millionenpublikum erreichten, traten 1933/34 nicht mehr als Verteidiger der parlamentarischen Demokratie auf, sondern priesen die Vorzüge rechter Diktaturen wie Italien und, seit 1933, Deutschland so vorbehaltlos an, daß die «New York Times» im Oktober 1933 daraus den Schluß zog, beide strebten ein ähnliches System für Großbritannien an. Wenn es dazu komme, würde es seinen symbolischen Ausdruck aber nicht in Schwarz- oder Braunhemden finden, sondern eher in einem «Anflug von Scharlachrot, um auf die zeremoniellen Roben hinzudeuten, die Viscount Rothermere und Baron Beaverbrook im Oberhaus bei besonderen Gelegenheiten tragen».
    Die Neo-Tories waren keine bloße Randerscheinung der britischen Politik. Sie hatten einen festen Rückhalt in der hochkonservativen Oberschicht und wie diese zeitweilig keine Bedenken, in elitären Zirkeln wie dem Anfang 1934 gegründeten Januarclub auch Verbindungen zu Mosleys Faschisten zu pflegen. Wie viele der konservativen «diehards» wandten sie sich, angeregt durch das 1931 erschienene Buch des Historikers Herbert Butterfield «The Whig Interpretation of History», gegen die angebliche liberale Verfälschung der englischen Geschichte seit der Magna Charta von 1215 und stellten ihr ein glorifizierendes Bild des ritterlichen «Merry England» des Mittelalters gegenüber. Mit einem sich kriegerisch gebenden Männlichkeitskult machten sie, auch darin mit der chauvinistischen Massenpresse einig, Front gegen den weit verbreiteten Pazifismus, wie er sich im regen Publikumsinteresse an der (amerikanischen) Verfilmung des deutschen Antikriegsromans «Im Westen nichts Neues» von Erich Maria Remarque oder in der legendären Resolution der Oxford Union, des Parlaments der Undergraduates der ältesten englischen Universität, vom Februar 1933 niederschlug, wonach «dieses Haus nicht für König oder Vaterland kämpfen» wollte (This House will not fight for King or country).
    In keinem anderen Bereich traten die Unterschiede zwischen dem politischen Klima Großbritanniens und dem Deutschlands zu Beginn der dreißiger Jahre so deutlich hervor wie beim Streit zwischen Pazifisten und Bellizisten. In Deutschland wurden Ende 1930 nach massiven Störungen durch die Nationalsozialisten auf Betreiben von Reichspräsidentund Reichsregierung öffentliche Aufführungen des Remarque-Films «wegen Gefährdung des deutschen Ansehens» verboten. Kriegsverherrlichende Bücher, die meist sehr viel geringere literarische Qualitäten aufwiesen als Ernst Jüngers «Unter Stahlgewittern» von 1920, fanden in Deutschland, anders als in England, ihr Massenpublikum. Um die Zeit, als die Oxforder Studenten ihren unbedingten Friedenswillen bekundeten, wurden die Allgemeinen Studentenausschüsse der deutschen Universitäten längst vom Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund beherrscht.
    In Deutschland repräsentierten die jungkonservativen Autoren in den frühen dreißiger Jahren die vorherrschende intellektuelle Strömung. Die britischen Neo-Tories blieben auf ein gehobenes gesellschaftliches Milieu und innerhalb desselben auf

Weitere Kostenlose Bücher